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Geburt, Entwicklung und Überlebenschancen

Die Jungen kommen zwischen November und Februar auf die Welt. Im Freiland ist es der Wissenschaft noch nicht gelungen, die Vorgänge in der Wurfhöhle zu er­for­schen. Was wir über die frühe Entwicklung der Jungtiere wissen, stammt aus Beobachtungen in Zoos.

Die Neugeborenen sind etwa 20 bis 30 cm lang, ihr Ge­burtsgewicht schwankt zwischen 400 und 900 Gramm. Männchen sind etwas größer als Weibchen. Eisbärenbabys haben anfangs nur wenige Haare, sind blind und taub. In der folgenden Ta­belle sind die wich­tigsten Entwicklungs­schritte zusam­men­gefasst.

Entwicklungsschritt Alter (ca.)
Hörvermögen 25. Tag (21. - 30.)
Öffnen der Augen 30. Tag (21. - 34.)
Erster Haarwechsel 30. Tag
Erster Zahndurchbruch 40. Tag (32. – 42.)
Riechvermögen 45. Tag (42. – 50.)
Erste Gehversuche 50. Tag (42. – 60.)
Milchgebiss komplett 3 Monate (2,5 – 3)
Aufnahme fester Nahrung 4 Monate (3,8 – 6)

Die Eisbärenmilch ähnelt der von Meeressäugern. Der Fettgehalt wird durchschnittlich mit ca. 33% angege­ben, es wurden aber auch schon Werte von knapp 50% gemessen. Im Laufe der Stillzeit nimmt der Fettgehalt ab, im zweiten Jahr liegt er bei ca. 18%. Die Jungtiere werden teilweise erst nach 30 Mona­ten entwöhnt.

Die Mutter wärmt die Jungen mit ihrem Körper und ihrer Atemluft. In den ersten Wochen saugen die Babys fast un­unterbrochen, danach bis etwa zum 5. Monat min­destens sechs Mal am Tag. Die Ge­wichtszunahme ist enorm. Nach zwei Monaten wiegen sie 6 bis 7 kg, nach einem Jahr schon über 100 kg.

Wenn die Jungbären ein Gewicht von ca. 10 bis 15 kg er­reicht haben, werden sie von ihrer Mutter aus der Höhle geführt. Die Familie hält sich meistens noch ca. 12 Tage in der näheren Umgebung auf, wobei die Nacht in der Höhle verbracht wird. Die kurzen Aus­flüge im Umkreis von höchstens 100 bis 300 Meter sollen den Nachwuchs an die Kälte ge­wöhnen. In dieser Jahreszeit kann das Thermo­meter noch bis auf –40°C fallen. Damit keine Raubtiere an­ge­lockt wer­den, „entsorgt“ die Mutter den Kot der Klei­nen, in­dem sie ihn zu­scharrt oder gar frisst. Au­ßer­dem nimmt sie trockenes Gras oder Weidenzweige zu sich, um die eige­nen Ver­dauung in Gang zu setzen.

Schließlich „bläst“ die Mutter zum endgültigen Aufbruch, im Süden früher als im Norden, irgendwann zwischen Feb­ruar und April. Der „Bärengang zum Meer“, von den Inuit „atiqtuq“ genannt, fällt meist mit der Ge­burt der Robbenba­bys zusam­men. Schließlich muss das Weib­chen nach der bis zu neun Monate langen Fas­tenzeit sicher sein, dass sie etwas Nahrhaftes zwischen die Zähne be­kommt. Und die drei Monate alten Jungtiere verfügen schon über ein voll­ständiges Gebiss.

In der Zeit zwischen dem Verlassen der Wurfhöhle und dem ersten Jagderfolg der Mutter ist die Jungtiersterblich­keit am höchsten. Das Weibchen ist enorm ge­schwächt, die Jungen noch nicht ausreichend an die neue Umgebung angepasst und auf dem Weg zum Meer können Wölfe oder geschlechtsreife Männchen lauern.

Auf dem Eis angekommen, muss das Weibchen sofort Beute machen. In dieser kritischen Phase spielt die Erfah­rung eine entscheid­ende Rolle: Ganz junge Mütter verlieren die meisten Kinder. Erst, wenn sie etwa 15 Jahre alt sind, steigen die Überlebenschancen des Nachwuchs deutlich an.

Sobald das Weibchen ihre erste Robbe geschlagen hat, bekommen auch die Kleinen etwas zu beißen. Mit 8 bis 10 Monaten sind sie in der Lage, selbst Beute zu ma­chen, was allerdings keinesfalls be­deutet, dass sie alleine überleben könnten. Einjäh­rige verbringen 4%, Zweijäh­rige nur 7% ihrer Zeit mit Ja­gen. 

Im ersten Jahr schauen die Jungbären ihrer Mutter häu­figer bei der Jagd zu als selbst auf die Pirsch zu gehen. Dabei lernen sie die verschiedenen Jagdstrategien kennen. Zweijährige entfer­nen sich zwar schon über ei­ne Meile von der Mutter, sind aber immer noch nicht schwer genug, um die Schnee­decke über einer Robben­höhle zu durchbre­chen. 

Das gilt aber nicht für alle Regionen. Viele Weibchen, die an der westlichen Hudson Bay leben, kön­nen ihren Nach­wuchs schon nach 1,5 Jahren verlassen. So weit im Süden sind die Schnee- und Eisdecken der Rob­benhöhlen teil­weise derart dünn, dass einjährige Jungbären erfolgreich durchbrechen können.

Wie lange die Mutter-Kind-Familie zusammen bleibt, hängt also vom Nahrungsangebot ab. In der Regel werden die Jungtiere nach 2,5 Jahren entweder von der Mutter oder dem ihr folgenden Männchen vertrieben. In Ein­zelfällen löst sich die Familie erst nach dem vierten Winter auf. Geschwister bleiben oft noch einige Zeit beisam­men, nachdem sie von der Mutter verlassen wurden.

Selten, aber zumindest in einem Fall genetisch nachge­wiesen, ist das Phänomen der freiwilligen Adoption. Auch ist es Wissenschaftlern schon gelungen, ein Waisen­kind in eine Familie zu integrieren.

Die Angaben zur Überlebensrate von Jungtieren variie­ren von Region zu Region und von Studie zu Studie. Die Mortalität in der Wurfhöhle ist noch unerforscht.  Wis­senschaftler vergleichen die Anzahl der Jun­gen, die sie im Frühjahr gesichtet haben, mit Zählungen im Herbst. In den 1980er Jahren wurde das Schicksal von 200 Jungtieren aus der Hudson Bay Population untersucht: Nur 44 % erreich­ten den ersten Winter.

Von 400 Nachkommen, die im ersten Herbst ihres Le­bens gezählt wurden, lebten ein Jahr später nur noch 35 %.  Rechnet man beide Untersuchungsergeb­nisse zu­sam­men, wird deutlich, dass an der Hudson Bay höchsten 15% aller Jungtiere, die aus einer Wurfhöhle krabbeln, ih­ren zweiten Geburtstag erreicht haben. Im Gegen­satz dazu erlebten 65% der Nach­kom­men aus der Beau­fortsee – Po­pulation ihren ersten Ge­burtstag und sogar 56% den Zeit­punkt der Entwöhnung.

Diese Daten sagen aber wenig über die Wachstumsdy­namik der beiden Populationen aus. So wird die hohe Sterblichkeit an der Hudson Bay durch eine hö­here Repro­duktionsrate mehr als ausgeglichen. Doch inzwischen wirkt sich der Klimawandel immer stärker aus. Seit den 1980er Jahren sank das durchschnittliche Gewicht von Eis­bärinnen aus der Population der westlichen Hudson Bay um 65 kg. Konnten damals noch 40% der Weibchen ihre Jungen schon nach 1,5 Jahren in die Unab­hängigkeit entlassen, so waren es in den 1990er Jahren nur noch 20%. Das Meereis wird dünner, es verschwin­det früher und kommt später zurück. Der Eisbär mag ein guter Schwimmer sein – erfolgreich jagen kann er jedoch nur auf dem Eis.

Download:  Artikel mit Quellenangaben

Mathias Orgeldinger