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NEUES AUS DEM TIERGARTEN NEUES AUS DEM TIERGARTEN
WARUM WIR ÜBER DIE TÖTUNG VON PAVIANEN SPRECHEN BARTGEIERPAAR IM TIERGARTEN ADOPTIERT ERNEUT EIN KÜKEN
m Februar 2024 hat der Tiergarten über Dabei geht es auch um Grundsatzfragen: Mit as Bartgeierpaar im Tiergarten hat
die ethischen Dimensionen des „Popula- welchen Zielen halten wir Tiere in Zoos und erneut ein Küken aus der Eulen- und
Itionsmanagements bei Pavianen“ im Um- welche Möglichkeiten haben wir, diese Ziele DGreifvogelstation Haringsee in Öster-
weltausschuss der Stadt Nürnberg berichtet. zu erreichen? reich adoptiert. Das Jungtier ist am 4. März
Konkret ging es darum, dass die Gruppe der 2024 geschlüpft und im Alter von wenigen
Guinea-Paviane (Papio papio) zu groß für die Der gesetzliche Auftrag der Zoos in der EU Tagen nach Nürnberg gebracht worden. Hier
Anlage geworden ist und der Tiergarten nach beinhaltet Bildungsarbeit, Forschungsarbeit hat es das Bartgeierpaar (Gypaetus barba-
sorgfältiger Abwägung aller Alternativen die und konkrete Maßnahmen im Artenschutz. tus) sofort angenommen und begonnen, es
Tötung einzelner Tiere in Betracht ziehen Ein zentrales Ziel ist der Arterhalt im Rahmen zu füttern und zu wärmen. Aktuell sind die
muss. Bei anderen Arten ist das Töten und der internationalen Zoogemeinschaft und Greifvögel in der Voliere im oberen Teil des
Verfüttern von Tieren, die in den internatio- gemeinsam mit Natur- und Artenschützern Tiergartens zu sehen, die 2016 mit Unter-
nalen, wissenschaftlich koordinierten Zucht- vor Ort. stützung des Vereins der Tiergartenfreunde
programmen als überzählig identifiziert wer- Nürnberg e. V. gebaut wurde.
den, seit vielen Jahren eine akzeptierte und Zoos obliegt dabei die spezielle Aufgabe des
offen kommunizierte Praxis im Tiergarten sogenannten ex-Situ-Artenschutzes. Dafür „Es ist toll, dass unser Bartgeierpaar nun zum
Nürnberg. Bei Affen kann der Zoo aus rechtli- brauchen sie jedoch nicht nur den gesetzli- zweiten Mal in Folge ein Adoptivküken groß-
chen und gesellschaftlichen Gründen diesel- chen Auftrag, sondern auch Rechtssicherheit zieht, nachdem es mit dem eigenen Nach- son 2023/2024 erfolgreich mit einem neuen
be Akzeptanz nicht voraussetzen und sucht in der Umsetzung. Diese gibt es momentan wuchs leider nicht geklappt hat“, sagt Tierpfle- Weibchen, das aus dem Zoo Frankfurt nach
daher das Gespräch mit der Stadtgesellschaft in Deutschland bezüglich des langfristigen ger und Revierleiter Thorsten Krist. Im Frühjahr Haringsee gekommen war.
auf unterschiedlichen Ebenen. Erhalts von Beständen nicht. Denn während 2023 hatten die beiden ebenfalls ein Bart-
es für Wildbestände in der Natur als Kon- geierküken aus Haringsee umsorgt, bis es im Auch das Nürnberger Bartgeierweibchen hat-
sens gilt, dass das Töten von Tieren ein un- Juni 2023 mit dem Namen „Nepumuk“ in den te in diesem Jahr ein Ei gelegt, das aber kurz
vermeidbares Instrument des Populations- Berchtesgadener Alpen ausgewildert wurde. vor dem Ende der zirka 54-tägigen Brutzeit
managements ist, ist es im deutschen Recht im Nest zerbrochen ist. Es war befruchtet,
für den ex-Situ-Artenschutz nicht per se und Das nun adoptierte Küken entstammt einer der Embryo war jedoch bereits Wochen zuvor
grundsätzlich als vernünftiger Grund aner- genetisch wertvollen Linie und soll im Rah- abgestorben. Tiergartenmitarbeitende haben
kannt. Zoos agieren hier in einer rechtlichen men des Europäischen Erhaltungszuchtpro- dem Paar zwei Kunsteier untergeschoben,
Grauzone, in der Einzelfälle vor Gericht ent- gramms EEP (EAZA ex-Situ Programme) wei- damit es weiter brütet für den Fall, dass es
schieden werden müssen. ter züchten – voraussichtlich im Tiergarten wieder ein Küken adoptieren soll. Kurz dar-
Nürnberg oder auf seiner Außenstelle Gut auf kam die Anfrage aus Haringsee. „Das Al-
Der Bericht im Umweltausschuss und die Mittelbüg. Dort baut der Tiergarten mit Un- ter des nun adoptierten Kükens passt ideal“,
öffentliche Berichterstattung haben eine terstützung des Vereins der Tiergartenfreun- sagt Thorsten Krist. „Es ist nur wenige Tage
Grundsatzdebatte über die Mittel ausge- de Nürnberg e. V. zwei Zuchtvolieren, die im vor dem für das Nürnberger Küken errechne-
löst, mit denen wir Arten schützen müssen Lauf des Jahres bezogen werden können. ten Schlupftermin zur Welt gekommen.“ Es
bzw. dürfen. Im Fokus der Diskussion steht ist ein Männchen.
die Abwägung zwischen dem Lebensschutz
des einzelnen Tieres im Verhältnis zum Er- Küken eines Gründertiers Mit der Zucht der majestätischen Greifvögel
halt der Biodiversität. Diese im Fall der Zoos tragen Zoos und Zuchtstationen zum Erhalt
durch den Aufbau und das nachhaltige kon- Der Vater des Kükens ist eines der ersten Tie- der Art bei. Anfang des 20. Jahrhunderts galt
krete Management von Tierpopulationen, die re des EEP für Bartgeier. „Er ist ein sehr wichti- der Bartgeier in den Alpen als ausgerottet. Dank
unter anderem über eine vom Menschen zu ger Founder, dessen Linie unbedingt im Bart- des unermüdlichen Engagements und der en-
entscheidende Sterberate erhalten werden. geier-EEP erhalten bleiben soll“, sagt Dr. Hans gen Zusammenarbeit von Arten- und Natur-
Es geht um ein klassisches ethisches Dilem- Frey, Leiter und Gründer der Zuchtstation Ha- schützern konnte dort seit 1986 wieder eine
ma, das die gesamte Gesellschaft betrifft und ringsee. Der Vogel kam zunächst verletzt in Population von derzeit zirka 300 Tieren aufge-
dem wir uns stellen müssen. den tadschikischen Dushanbe Zoo und von baut werden – darunter 60 Zuchtpaare. 1993 ist
dort über mehrere Stationen in Russland und das Zuchtprojekt für Bartgeier in ein EEP über-
Anna Böhm Österreich in die Zuchtstation nach Haring- führt worden, das von der Vulture Conservation
see. Dort verpaarte er sich in dieser Brutsai- Foundation mit Sitz in Zürich geleitet wird.
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