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Schwerpunktthema Nachhaltigkeit im Tiergarten     manatimagazin 22|02






 WIR VERLIEREN   von definierten mineralischen und organischen Düngemit-
             teln steigern oder konstant halten. Wenn aber die Orga-
             nismen des Bodens durch Verdichtung, Versiegelung oder
             Vergiftung sterben, kann die Erde nichts mehr hergeben.
 DEN BODEN   Tote Böden können uns nicht mehr nähren.

             Im Klima- und Biodiversitätsschutz geht es um die Ko-
             existenz von natürlich funktionierenden Ökosystemen
 UNTER DEN FÜSSEN  und den technisch dominierten Lebenssystemen des
             Menschen.

             Die Natur gibt regionalspezifische Lösungswege vor
 Die Degradation und der Funktionsverlust unserer Böden bedeuten   Der Boden unter dem Amazonasregenwald in Brasilien
 eine ökologische Katastrophe und gefährden unsere Existenz.   hat nur für diesen Wald dauerhaft ausgelegte Struktu-
             ren. Ihm fehlt die fruchtbare Humusschicht, da aufgrund
 Tiergartendirektor Dr. Dag Encke berichtet   über den unschätzbaren Wert des Bodens unter   der fehlenden Ruhezeit, während der die Bäume einen
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 unseren Füßen.  reduzierten Stoffwechsel haben, die Nährstoffe zwischen
             Wurzeln und Blättern so schnell zirkulieren, dass kaum
 ie Verdichtung und Versiegelung von Böden so-  barem Ackerboden finden sich mehr Bodenorganismen,   Humus entstehen kann. Die alten Steppenböden der Uk-
 wie die dortigen Schadstoffeinträge zerstören in  als es Menschen auf der Erde gibt“, stellt das Bundesamt   raine wie auch die Böden unserer ehemaligen Waldgebie-
 DDeutschland Jahr für Jahr das Produktionspotential  für Naturschutz in seinem Bodenreport 2021 fest.  te hingegen, haben tiefgründigen, fruchtbaren Humus,
 von 3,4 Milliarden Brötchen. Das entspricht einem Poten-  dessen landwirtschaftliche Erträge Millionen von Men-
 tialverlust von 6.400 Brötchen pro Minute alleine durch die  Ein Drittel dieser Biodiversität ist nach neuesten Schät-  schen nähren können.
 Bodenversiegelung von 30 Hektar pro Tag. Das jedenfalls  zungen vom  Aussterben bedroht  – dazu  gehören zum
 hat Axel Don vom Thünen-Institut für Agrarklimaschutz  Beispiel auch 17 der 46 in Deutschland heimischen Re-  So wäre für Brasilien eine „nature based solution“ gegen   Unterm Horizont geht's weiter
 ausgerechnet.   genwurmarten.  den Klimawandel zum Beispiel eine nachhaltige Forstwirt-  Gesunde Böden sichern das
             schaft, welche die Wälder erhält und dennoch wegen ihres   Leben unter der Erde.
 Die fruchtbaren Böden der Steppen und sogar mancher  „Der Boden ist der Regenwald des kleinen Mannes. Weil er   rasanten Umtriebs Holz für Millionen Menschen liefern
 Wüstengebiete bieten eine Artenvielfalt, die der der tropi-  ebenso artenreich ist wie der Regenwald. Und wenn Sie da   könnte.
 schen Regenwälder in Menge und Bedeutung ebenbürtig  den Boden mit Beton oder mit irgendeiner Versiegelung
 ist. Der Boden ist wie ein Wald auch dreidimensional struk-  abtöten, dann tun Sie haargenau das Gleiche, was wir mit   Die humusreichen, fruchtbaren Böden der gemäßigten Zo-
 turiert und besteht aus verschiedenen Schichten. Dazu ge-  Regenwäldern tun“, sagte Volkmar Wolters, Direktor des   nen sind sowohl für den Waldbau als auch für den Acker-
 hören zum Beispiel die Streuschicht aus Laub, Nadeln oder  zoologischen Instituts der Justus Liebig Universität Gie-  bau langfristig geeignet – solange ihre Lebensvielfalt nicht
 anderen Pflanzenresten, die Humusschicht und der Mine-  ßen und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats für Biodi-  durch die Bewirtschaftung zerstört wird.
 ralboden. Er ist in seinem Überleben bei uns genauso ge-  versität und Genetische Ressourcen beim Bundesministe-
 fährdet wie der Regenwald in Brasilien und wird dennoch  riums für Ernährung und Landwirtschaft im Interview mit   Welch katastrophale Auswirkung Letzteres haben kann,
 mit Füßen getreten, geteert und zubetoniert. Wenn als  dem Deutschlandfunk.  macht der ausgetrocknete Aralsee deutlich: Jahrzehnte-
 Ausgleich für eine neu versiegelte Fläche, die aus tiefgrün-  lange Fehlbewirtschaftung der Karakum-Wüste hat deren
 digem Humus besteht, ein Ackerboden aus der Nutzung  Über 70 Prozent von mehr als 2.000 untersuchten Pflan-  fruchtbare Böden irreversibel zerstört, der Amudarja-Fluss,
 genommen und aufgeforstet wird, dann verkennt dieser  zenarten befinden sich deutschlandweit im Rückgang. Als   der einst den Aralsee speiste, ist versiegt.
 Ausgleich die Bedeutung des Bodens. Denn versiegelter  Hauptursache werden Landwirtschaft und Bodenversiege-
 Boden erfüllt keine Bodenfunktionen mehr. Er funktioniert  lung genannt.  Diese ökologische Katastrophe können wir nicht rückgän-
 weder als Wasser- und Schadstofffilter noch als Lebens-  gig machen. Aber wir können weitere verhindern. Zur stän-
 raum zahlreicher Organismen oder für Nährstoffkreisläufe.  Denn fruchtbarer Boden ist die Voraussetzung für Ve-  digen Erinnerung daran und zur Information über den un-
 Ein solcher Boden kann nur durch Entsiegelung, also po-  getation. Pflanzen stellen die Nahrungsgrundlage zahl-  schätzbaren Wert des Bodens unter unseren Füßen haben
 tentiell wieder lebensfähige Flächen, funktional kompen-  reichen tierischen Lebens an Land dar. Zerstören wir die   wir im Tiergarten das Wüstenhaus eingerichtet, im Mittel-
 siert werden.   großen  überirdischen  Vegetationen  der  Erde,  hat  das   punkt die Mistkäfer: heilige Symbolfiguren und unermüd-
 massive Konsequenzen für die Menschheit. Zerstören   liche Arbeiter für gesunde Böden.
 Luftig, offen, atmend: Guter Grund für Milliarden von Or-  wir die großen unterirdischen Nahrungsspeicher unse-
 ganismen  rer Böden, wird der Menschheit und ihren Nutztieren die   Literaturtipp
 Gewachsener Boden hat eine krümelige, offenporige Struk-  pflanzliche Nahrung fehlen. In beiden Szenarien wird der   Bundesamt für Naturschutz (2021): Bodenreport. Vielfältiges Bodenleben
 tur mit reguliertem Luft- und Wasseraustausch mit der  Mensch zur bedrohten Art.  – Grundlage für Naturschutz und nachhaltige Landwirtschaft. Zum
 Atmosphäre. Milliarden Organismen bewohnen den Bo-  Download oder Bestellen unter: https://t1p.de/wsyr6
 den und erhalten durch ihre Aktivität seine Fruchtbarkeit,  In seinem jüngsten Bericht hebt der Weltklimarat (IPCC)
 indem sie die organischen und mineralischen Anteile des  wie ein Mantra des Klimaschutzes immer wieder die Priori-
 Bodens in Kombination mit Wasser und Luft als Nährstoffe  tät für naturbasierte Lösungen („nature based solutions“)   1  Der Autor bedankt sich bei der Bodenbiologin Juliette Blum für ihre fach-
 nutzen, zerkleinern, verdauen und dadurch wiederum den  hervor. Wir können in der Landwirtschaft den Ertrag dauer-  liche Unterstützung.
 Pflanzen zur Verfügung stellen. „In einer Hand voll frucht-  haft bewirtschafteter Böden zwar durch die Beimischung


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