Page 24 - Manatimagazin 23/01
P. 24
Schwerpunktthema Die menschliche Dimension im Artenschutz manatimagazin 23|01
VON DELFINEN UND MENSCHEN und Arten einordnet und wahrnimmt. Die Ethnoökologie erforscht die Beziehung einer Gesell-
schaft zu den Ökosystemen, die sie umgeben.
BEVÖLKERUNG UND WISSENSCHAFT Traditionelles Wissen über die Natur nutzen
GEMEINSAM FÜR DEN ARTENSCHUTZ Alteingesessene Gemeinschaften besitzen Gebiete und nutzen Ressourcen hauptsächlich, um
ihren Eigenbedarf zu decken und sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen. Dafür stützen
sie sich auf die Arbeitskraft der Familie und wenden Techniken an, die sie über Generationen
Fischernetze stellen eine ernste Gefahr für hinweg entwickelt und die sich für sie bewährt haben. Dieses Wissen über die Natur ist Teil
Delfine dar, die in Küstennähe leben. Aus der Tradition und wird mündlich von den Alten an die Jungen weitergegeben.
diesem Grund haben sich in der Agenda
2030 der Vereinten Nationen 193 Länder An der Küste Brasiliens leben traditionelle Fi-
darauf geeinigt, die Bevölkerung mit ins schergemeinschaften, die ständig im Kontakt
Boot zu nehmen, um die maritime Fau- mit der Natur sind: Das ermöglicht es, ihr tra-
na zu schützen. Studien über das Zusam- ditionelles Wissen über die Fauna zu erfassen WISSEN AUF EINEN BLICK
menspiel von menschlichem Wirken und - zum Beispiel über die Delfine, die in Küsten-
den Meeressäugern tragen zum Dialog gewässern leben (Zappes et al., 2016).
zwischen den Beteiligten bei und sie re-
gen dazu an, gemeinsame Bildungs- und Studien über die menschliche Dimension im AGENDA 2030 DER UNO - ZIEL 14
Schutzmaßnahmen für verschiedene ge- Leben der Delfine versuchen zu verstehen, wie
sellschaftliche Gruppen zu entwickeln und Fischergemeinden diese Tiere einordnen und Ozeane und Küstengebiete sind ein essenzieller Bestand-
zu verbreiten. wie das Fischen mit kleinen Booten den Erhalt teil der Ökosysteme der Erde: Sie bedecken über zwei Drit-
der Populationen beeinträchtigt. tel der Oberfläche und enthalten 97 Prozent des gesamten
Camilah Antunes Zappes & Maria Luiza Furtado Cardo- Wassers unseres Planeten. Wir sind weit davon entfernt,
so arbeiten im Fachbereich Sozioökologische Meeresfor- Dadurch, dass die Fischer täglich mit den Mee- die Artenvielfalt in diesen Lebensräumen komplett zu
schung der Staatlichen Universität von Espírito Santo in ressäugern in Kontakt sind, bietet sich die ein- erfassen. Zugleich bilden Ozeane die Lebensgrundlage für
Brasilien und sind dort Teil der Forschungsgruppe Human- malige Chance, die Beeinträchtigungen der an mehr als 3 Milliarden Menschen. 80 Prozent des weltwei-
ökologie des Ozeans. Einige ihrer Projekte führen sie in en- der Küste lebenden Kleinwale durch familiäre ten Warenhandels wurden 2020 auf dem Seeweg abge-
ger Zusammenarbeit mit Unterstützung von Yaqu Pacha Fischerei zu beobachten und sie einzuordnen wickelt. Im Ziel 14 der Agenda 2030 geht es darum, die
e.V. durch – etwa Projekte zum Schutz des Franciscana Del- (Souza & Begossi, 2007). Das Wissen der loka- Interessen von Menschen mit denen der Tiere und Pflan-
fins oder des Guiana Delfins. len Bevölkerung mit den wissenschaftlichen zen der Ozeane in Einklang zu bringen, um das Überleben
Erkenntnissen zu verknüpfen, kann uns dabei aller nachhaltig zu sichern.
helfen, Schutz- und Erhaltungsstrategien für
m Jahr 2017 haben die Vereinten Nationen (UNO) die die Walpopulationen in Gebieten auszuarbei-
Zeit von 2021 bis 2030 als Dekade der Ozeanwissen- ten, in denen Fischerei mit Fangnetzen betrie-
Ischaften für nachhaltige Entwicklung ausgerufen. In ben wird.
Feinfühlig Der Franciscana Delfin gehört zu den diesem Jahrzehnt besteht das Ziel darin, die Wissenschaft,
kleinsten Delfinarten der Welt. Da er überwiegend in Gesetzgeber, die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft In Küstennähe lebende Walarten sind in Brasilien die Säugetiere, die am meisten von der Fi-
Küstennähe lebt, ist er besonders empfindlich gegen-
über menschlichen Einflüssen. zu mobilisieren, damit sie gemeinsam Informationen sam- scherei mit kleinen Booten betroffen sind: Da sie sich unbeabsichtigt in den Netzen verfangen
meln und Maßnahmen im Sinne der Agenda 2030 treffen. oder mit den Booten kollidieren, kann ihre Population dadurch langfristig zurückgehen.
Es geht darum, Ozeane, Meere und ihre Ressourcen zu schützen und sie nachhaltig zu nutzen. Sie sollen An der Küste des brasilianischen Bundesstaates Espírito Santo im Südosten des Landes stellt
zum einen nachhaltig bewirtschaftet werden, damit die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicher gestellt der Beifang durch Stellnetze die schwerste negative Folge der Fischerei für den Franciscana
ist. Zugleich soll aber auch ein gesunder und widerstandsfähiger Ozean erhalten werden, in dem marine Delfin (Pontoporia blainvillei) und den Guiana Delfin (Sotalia guianensis) dar.
Ökosysteme kartiert und geschützt sind. Diese Dekade steht im Einklang mit den Zielen der nachhaltigen
Entwicklung der Agenda 2030 der UNO - insbesondere mit dem Ziel Nummer 14: „Leben unter Wasser“. Die Berichte von Fischern über diese negativen Zusammenstöße zeigen, wie wichtig es ist,
das Wissen der lokalen Bevölkerung in Studien zu erfassen und zu nutzen. Auf diese Weise
Das Ziel Nummer 14 macht deutlich, wie wichtig es ist, die Gesellschaft in Entscheidungsprozesse wird es möglich, die unterschiedlichen Auffassungen von den Interaktionen zwischen der Fi-
mit einzubeziehen. Dafür muss man zunächst verstehen, wie Bewohner Küste und Meer wahrneh- scherei und den Delfinpopulationen zu verstehen.
men, was sie darüber gelernt haben und wie sie ihre Nutzung durch den Menschen verstehen. Stu-
dien zur menschlichen Dimension regen interdisziplinäre Diskussionen und die Einbeziehung der Die Gruppe der Humanökologie des Meeres der Staatlichen Universität Espírito Santo führt
Beteiligten an, wenn es darum geht, umweltpolitische Entscheidungen zu treffen. in dieser brasilianischen Küstenregion Projekte zur menschlichen Dimension in Fischerge-
meinden durch, in denen die Interaktionen zwischen Kleinwalen und den Fischergemeinden
In der Diskussion spielen Ethnobiologie und Ethnoökologie eine Rolle. Die Ethnobiologie befasst sich mit erfasst und erforscht werden. Finanziert werden diese Forschungsarbeiten von Yaqu Pacha e.V.
den zahlreichen kulturellen und spirituellen Gewohnheiten einer Bevölkerung, mit der Art, wie sie Natur zum Schutz der Meeressäuger Lateinamerikas.
24 25