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 Delfine werden nicht gezielt gejagt  ARTENSCHUTZ
 Die Fischer der brasilianischen Südostküste nennen den Franciscana Delfin „Schweinswal“
 (Toninha) und den Guiana Delfin „Amazonas Flussdelfin“ (Boto), „Tuninha“ und „grauer Ama-
 zonas Flussdelfin“ (Boto-cinza). Sie beschreiben auch das Verhalten dieser Delfine: Ihre Be-
 schreibungen ähneln dabei denen der Wissenschaftler. Die Fischer sehen die Delfine bei der
 Arbeit, weil die Tiere in den gleichen Gebieten aktiv sind wie sie. Sie erkennen an, dass diese   VOR DER HAUSTÜR
 Überschneidung dazu führt, dass die Tiere sich in ihren Netzen verfangen. Wenn das passiert,
 sprechen die Fischer von einem Unfall, denn die Delfine werden nicht gezielt gejagt: Zum
 einen ist es verboten, zum anderen empfinden Brasilianer Empathie für die Tiere.   Nach einem Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES von
                                           2019 sind weltweit etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten
 Vor diesem Hintergrund versuchen die Forscherinnen,   vom Aussterben bedroht. Die Natur kennt keinen Artenschutz.
 Knapp die Hälfte aller Walarten ist   das traditionelle Wissen der Bevölkerung vor Ort zu   Wenn wir uns für andere Lebewesen einsetzen, tun wir es aus
 aktuell gefährdet oder vom Ausster-  verstehen, damit sie gemeinsam mit ihnen Strategien   Eigennutz, beziehungsweise, weil wir ethische Standards wie
 ben bedroht: Zu dieser Einschätzung   entwickeln können, um den Beifang zu reduzieren.   Verantwortung oder Mitgefühl, die wir für das menschliche Zu-
 kommt die Weltnaturschutzunion         sammenleben brauchen, auf unsere Mitgeschöpfe übertragen.
 IUCN. Zu den Walen zählen auch die   Gemeinsame Strategien zum Schutz der Delfine  Dieses anthropozentrische Hintergrundrauschen begleitet jede Ar-
 Delfine.  Zum Beispiel erfassen die Forscher anhand der Anga-  tenschutzmaßnahme – ob in fernen Ländern oder vor der Haustüre.
 ben der Fischer, in welchen Gebieten die Delfine unter-
 wegs sind - anschließend können sie gemeinsam mit   Dr. Mathias Orgeldinger, Biologe und Journalist.
 der Lokalbevölkerung alternative Fanggebiete finden und ausweisen. Ein andere Strategie be-
 steht darin, die Fischernetze und Fangmethoden so zu verändern, damit Delfine sie als Gefahr   eder menschliche Eingriff in das natürliche Ökosystem schadet bestimmten Lebe-
 erkennen und sich nicht darin verfangen. Hier arbeiten Wissenschaftler, Fischer, Unterneh-  J wesen und bevorzugt andere, in der Regel uns selbst. Ein basaler Pflanzenschutz ist
 men und Behörden eng zusammen.        für unsere Ernährung notwendig und auch die Verkehrssicherungspflicht an Wald-
                                   wegen ist unstrittig, obwohl sie holzliebenden Insekten, Vögeln und Fledermäusen den
 Zusätzlich dazu bieten die Forscherinnen digitale Unterrichtseinheiten zur Umweltbildung   Lebensraum entzieht. Aber müssen Gärten beleuchtet werden, wenn ihre Besitzer längst
 für Kindergärten und Grundschulen an und Präsenzveranstaltungen für Schulen in der Region.   schlafen, Schlösser die ganze Nacht über funkeln und Straßenlaternen in den Weltraum
 Alle Bildungsangebote nutzen Puppentheater, Spielmaterialien, Vorträge, die Verteilung von   strahlen? Nach Schätzungen des Zoologen Gerhard Eisenbeis starben vor Einführung von
 Bildungssets, Videos, Flyern, e-Books und Online-Spiele zur Wissensvermittlung über Meere.   LEDs jährlich 150 Billionen Insekten an deutschen Straßenlaternen.


 Anhand der Ergebnisse dieser Projekte ist es möglich, die menschliche Dimension, die mit
 dem tradierten Wissen der Fischer über die Delfine an der Südostküste Brasiliens einher-  EIN PARADEBEISPIEL FÜR UNTERLASSENEN
 geht, zu verstehen. Diese Informationen können dabei helfen, Leitlinien für den Umgang
 mit natürlichen Ressourcen in Schutzgebieten zu erarbeiten (Zappes et al., 2009) - und dazu   ARTENSCHUTZ IST DER ENGLISCHE RASEN
 beitragen, das Ziel Nummer 14 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu erreichen:
 „Leben im Wasser“.          Neben den berechtigten Eingriffen für Ernährung, Gesundheit, Sicherheit und Wohlstand
                            der Menschen leidet die Flora und Fauna vor allem der reichen Industriestaaten aber auch
 Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Anna Böhm.  an fragwürdigen Verhaltensweisen, wie Bequemlichkeit, Verschwendung, Prestigedenken oder
                           kulturell aufgewerteter Feinschmeckerei. Obwohl der Fang von Ortolanen (Emberiza hortulana)
 Danksagung                seit 1979 durch die Europäische Vogelschutzrichtlinie verboten ist, werden im Südwesten Frank-
 Die Autorinnen danken Yaqu Pacha e.V. für die Unterstützung der Forschungsarbeiten und der Stiftung für For-  reichs jährlich noch 30.000 Tiere auf ihrem Herbstflug getötet. In Armagnac eingelegt und ge-
 schungsförderung des Bundesstaates Espírito Santo für die Gewährung von Forschungszuschüssen.   braten landen die Vögel mitsamt ihren Knochen im Magen von Gourmets, die womöglich gar
                         nicht wissen, was ihre kulinarische Vorliebe anrichtet. Nach Schätzungen von Forschenden der
 Referenzen             Universität Bern ist die Zahl der Ortolane in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten um 80 Prozent
 Souza, S.P., Begossi, A. 2007. Whales, dolphins or fishes? The ethnotaxonomy of cetaceans in São Sebastião, Brazil.   zurückgegangen, woran die Entnahme in Frankreich einen großen Anteil hat.
 Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine 3 (9). http://dx.doi.org/10.1186/1746-4269-3-9.
 Zappes, C.A., Andriolo, A., Oliveira, F., Monteiro-Filho, E.L.A. 2009. Potential conflicts between fishermen and Sotalia   Wer mit dem Finger auf andere zeigt, sollte jedoch bedenken, dass dabei immer drei Finger auf ihn
 guianensis (van Bénéden, 1864) (Cetacea, Delphinidae) in Brazil. Sitientibus Série Ciências Biológicas 9(4): 208-214.   selbst gerichtet sind. Ein Paradebeispiel für unterlassenen Artenschutz ist der englische Rasen, der auch
 https://doi.org/10.13102/scb8013   hierzulande viele Liebhaber hat. Die Idee, auf freier Fläche Gras anzupflanzen, stammt aus dem späten
 Zappes, C.A., Gama, R.M. Domit, C., Gatts, C.E.N., Di Beneditto, A.P.M. 2016. Artisanal fishing and the franciscana   Mittelalter. Französische und englische Aristokraten konnten es sich leisten, im Umfeld ihrer Schlösser
 (Pontoporia blainvillei) in Southern Brazil: ethnoecology from the fishing practice. Journal of the Marine Biological   eine Pflanze anzubauen, die ihnen weder zur Ernährung noch zur Nutztiermast diente. Das Wässern, Mä-
 Association of the United Kingdom. http://dx.doi.org/10.1017/S0025315416001788.   hen, Unkraut jäten übernahmen Bedienstete. Je verschwenderischer der Ressourcenverbrauch, desto rei-
 United Nations Department of Economic and Social Affairs, Sustainable Development; Bundesministerium für   cher und angesehener war der Besitzer. Der grüne Rasen entwickelte sich zum Statussymbol, das sich das
 wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Ziele für nachhaltige Entwicklung Bericht 2021.  aufstrebende Bürgertum zu eigen machte.



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