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Schwerpunktthema Nachhaltigkeit im Tiergarten                                                                                                                   manatimagazin 22|02




                                                                                                                                                  Wie weit müssen wir zurückblicken?
                                                                                                                                                  Das letzte von einer Erderwärmung induzierte Massenaussterben ist etwa 200
             DER IPCC-BERICHT UND SEINE                                                                                                           Millionen Jahre her. Durch vulkanische Aktivität wurde damals sehr viel Kohlen-
                                                                                                                                                  dioxid und Methan in die Atmosphäre geblasen, was vermutlich zu einer globa-
                                                                                                                                                  len Erwärmung von circa sechs Grad geführt hat.
             NOTWENDIGEN FOLGEN                                                                                                                   Das war aber noch nicht die größte Katastrophe?


             – INTERVIEW MIT PROF. WOLFGANG KIESSLING                                                                                             Nein, das größte Massenaussterben aller Zeiten lag an der Grenze vom Perm zur
                                                                                                                                                  Trias vor etwa 250 Millionen Jahren. Damals war der Planet wüst und leer. Über
                                                                                                                                                  einen Zeitraum von mehreren zehntausend Jahren hat sich die Erde um zehn
             Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wurde 1988                                                         Grad erwärmt. Das jüngste mit dem heutigen Zustand vergleichbare Ereignis
             von den Vereinten Nationen (UN) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO)                                                      war das thermische Maximum an der Grenze vom Paläozän zum Miozän vor ca.
             gegründet. Dem wissenschaftlichen Gremium und zwischenstaatlichen Ausschuss                                                          55 Millionen Jahren. Die Erwärmung betrug circa vier Grad. Seltsamerweise gab
             gehören 195 Mitgliedsstaaten an. Prof. Wolfgang Kießling vom Lehrstuhl für Paläo-                                                    es damals kein Massenaussterben. Bei Tiefsee-Foraminiferen (Gruppe von Ein-
             umwelt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) wurde für den                                                     zellern mit Kalkgehäuse, Anmerkung der Redaktion) gab es ein substantielles
             sechsten Sachstandsbericht (AR6) des IPCC in die Arbeitsgruppe II (Folgen, Anpas-                                                    Artensterben und viele Organismen haben ihre geografische Verteilung geän-
             sung und Verwundbarkeit) als Hauptautor berufen. Hier im Interview mit Dr. Mathias Orgel-                                            dert.
             dinger, Biologe und Journalist.
                                                                                                                                                  Könnte es wieder so glimpflich ablaufen?
             Herr Prof. Kießling. Als Paläontologe erforschen Sie die Umweltbedingungen vergangener Erd-                                          Das kommt darauf an, wie man „glimpflich“ definiert. Es gab durchaus große
             zeitalter. Welche Ergebnisse Ihrer Arbeit flossen in den Weltklimabericht ein?                                                       ökologische Konsequenzen. Die Korallenriffe sind fast komplett verschwunden,
             In der Erdgeschichte gab es viele Beispiele für sogenannte hyperthermische Ereignisse, also geo-                                     auch wenn keine einzige Korallengattung ausgestorben ist. Ein Riffsterben be-
             logisch kurzzeitige Erwärmungsphasen. Damals gab es noch keine Menschen auf dem Planeten.                                            deutet nicht unbedingt ein Artensterben von Korallen. Vermutlich haben die
             Wir können also sehen, wie sich der Klimawandel per se auf die Arten und ihre Verteilung auswirkt.                                   Korallen einfach die Fähigkeit verloren, Riffe aufzubauen, weil sie zu langsam
             Dieses Wissen habe ich eingebracht. Meine Aufgabe war es, die Literatur zu diesem Thema zusam-                                       gewachsen sind. Solche Fragen untersuchen wir derzeit. Es geht um die Balance
             menzufassen.                                                                                                                         von Riffwachstum, Korallenwachstum und dem Aussterben von Korallenarten.
                                                                                                                                                  Für viele Organismen kann es eine Rettung sein, wenn sie polwärts
             Und was kam dabei heraus?                                                                                                            migrieren. Wir sehen heute, dass sich Korallen vor der japa-
             Die Tendenz geht dahin, dass es einen kritischen Wert von etwa 5,2 Grad Celsius gibt, ab dem wir mit                                 nischen Halbinsel Honshu neu ansiedeln. Die Kelpwälder
             einem Massenaussterben von Tieren und Pflanzen rechnen können. Unter Massenaussterben ver-                                           verschwinden  und die  Korallen fangen an,  Riffstruktur
             stehen wir Ereignisse, die signifikant über dem Hintergrundrauschen der natürlichen Aussterberate                                    aufzubauen.
             liegen. Der Wert von 5,2 Grad lässt sich aus den vergangenen großen Aussterbeereignissen ableiten.
             Er gilt sowohl für eine Erwärmung als auch für eine Abkühlung des Klimas.                                                            Die Natur findet immer einen Weg?
                                                                                                                                                  Ja, Sie haben Recht. Der Erde ist es letztlich egal,
             Das Weltklima hat sich ja ständig geändert. Auf welchen Basiswert beziehen sich die 5,2 Grad                                         welche Arten auf ihr leben. Dennoch ist es ein
             heute?                                                                                                                               Verlust. Arten, die verloren gehen, nehmen der
             Wenn wir von Gradzahlen der Erwärmung sprechen, beziehen sie sich immer auf den vorindustriel-                                       Natur die Möglichkeit, neue Wege zu finden.
             len Zustand, das heißt den Mittelwert der Jahre von 1890 bis 1900. Davor gab es zwar auch schon
             Industrie, aber noch nicht ausreichend gute Temperaturmessungen. Wir untersuchen aber nicht
             nur die kritischen Schwellenwerte, sondern auch, welche Gruppen von Organismen besonders stark
             betroffen sind.

              Können Sie Beispiele nennen?
                  Meeresbewohner wandern derzeit mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Jahrzehnt
                      polwärts. Das trifft nicht für jede einzelne Tierart zu, aber für den Durchschnitt aller
                           Spezies. Die Landtiere bewegen sich langsamer, weil sie oft durch geografische
                               Gegebenheiten am Wandern gehindert werden. Das könnte bedeuten, dass
                                    Landtiere vom Klimawandel stärker bedroht sind als Meerestiere. Aller-
                                        dings geben die Daten das nicht her. Tendenziell scheint sich der
                                            Klimawandel stärker auf die Meerestiere auszuwirken, und
                                                 das war auch schon bei den anderen Aussterbeereig-
                                                            nissen so.













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