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mit einer Klappe: Wir verhindern die Küstenerosion und speichern
Kohlendioxid in den Mangroven. So funktioniert es: Die Anpas-
sung an den Klimawandel muss gleichzeitig eine CO₂-Minderung
bewirken.
Neben ihrer Autorenschaft für das Kapitel über die Ozeane und
die Küstenökosysteme waren Sie auch an dem Bericht über die
Hotspots der Biodiversität beteiligt.
Wir haben uns vor allem mit den endemischen Arten auseinander-
gesetzt. Sie sind am meisten bedroht, denn es gibt ja einen guten
Grund, warum sie endemisch sind. Anscheinend können sie nicht
einfach irgendwo hin migrieren. Zu diesem Thema haben wir eine
Metaanalyse durchgeführt und diese veröffentlicht, um sie in den
sechsten Sachstandsbericht des IPCC einzufügen. So macht man
das oft, denn der Bericht ist ja nicht als Erstveröffentlichung an-
gelegt. Wir sollen die wissenschaftliche Literatur bewerten.
Ich verstehe: Wir dürfen nicht zulassen, dass der Mensch das Klima so massiv Im Wesentlichen ging es um Modelle, beispielsweise über das
verändert. Was ich nicht verstehe: Der Treibhauseffekt, nach dem sich die Erde Schicksal des Seegrases im Mittelmeer. Die Ergebnisse zeigen,
bei Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre erwärmt, wurde schon wenn wir mit der globalen Erwärmung zwischen 1,5 und zwei Grad
1824 entdeckt und dessen anthropogene Ursache 1958 durch Kohlendioxidmes- bleiben, werden nur zwei Prozent der Arten in den Hotspots aus-
sungen bestätigt. Wenn der Trend seit langem bekannt ist, warum muss dann sterben, aber bei über zwei Grad liegen wir schon im Bereich von
für jedes Phänomen und fast jede Tierart die Auswirkung des Klimawandels 20 Prozent Artenschwund. Solche Werte werden nur selten ange-
wissenschaftlich belegt werden, bevor die Politik in die Gänge kommt. zweifelt. Wo viel mehr diskutiert wird, ist beispielsweise die Be-
Ich sehe das Ganze aus der Anpassungsperspektive. Wenn wir verhindern wol- völkerungsentwicklung. Einige Länder wollen nichts davon hören,
len, dass massiv Arten aussterben, müssen wir im Detail wissen, wie diese Tiere dass jede Bevölkerungszunahme problematisch ist.
migrieren, und welche anderen Veränderungen es gibt. Das ist ja auch ein wirt-
schaftliches Problem. Der Kabeljau ist gerade dabei, die Nordsee zu verlassen. Das Früher hieß es, das ungebremste Wachstum der Erdbevölkerung
Detailwissen ist wichtig, um zum Beispiel Schutzgebiete anzulegen, damit die sei ein Problem, das alle anderen Probleme unlösbar macht.
Tiere migrieren können. Gerade im marinen Bereich wird viel darüber geforscht. Aber dazu wird es nicht kommen. Die Weltbevölkerung wird sich
Die Meeresschutzgebiete müssen für den Klimawandel der Zukunft ausgelegt wohl bei etwas über zehn Milliarden Menschen einpendeln. Das
werden. In diesen Fällen ist es schon wichtig zu wissen, wie die einzelnen Arten WENN WIR EIN MAS- ist einerseits beruhigend, aber andererseits auch sehr viel. Diese
reagieren. SIVES ARTENSTERBEN zehn Milliarden werden nicht so leben können, wie wir leben. Das
VERHINDERN WOLLEN, muss nachhaltiger ablaufen, und je schneller wir uns umstellen,
In der „Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung“ der Ar- MÜSSEN WIR IM DETAIL desto besser.
beitsgruppe II, an der Sie beteiligt waren, finde ich aber so gut wie keine Zahlen VERSTEHEN, WIE DIESE
und keine konkreten Maßnahmen. TIERE MIGRIEREN UND Was schlagen Sie vor?
Das ist ein Kompromisspapier, bei dem die Politiker mitgeredet haben. Ich war WELCHE ANDEREN VER- Ich möchte betonen, dass ich in Arbeitsgruppe II des Weltklimara-
zum ersten Mal in meinen Leben bei so etwas dabei. Es ist ein Alptraum. Die- ÄNDERUNGEN ES GIBT. tes bin. Wir beschäftigen uns mit den Verletzlichkeiten und Anpas-
se Kompromisse, die da erzielt werden, entstehen, weil einige Länder unbedingt sungsmöglichkeiten an den Klimawandel. Über die Maßnahmen
vermeiden wollen, dass bestimmte Sachen drin stehen. Ich darf keine Länder zur CO₂-Minderung kann ich nur so viel sagen, wie ein Passant auf
nennen, kann aber sagen: Ein einziger Satz wurde bis zu sechs Stunden lang dis- der Straße. Aus meiner Sicht ist es extrem wichtig, dass wir bei der
kutiert. Wir sitzen zwei Wochen mit Regierungsvertretern zusammen und ver- Energiewende nicht die Anpassung aus den Augen verlieren. Die
handeln darüber, was wir in der Zusammenfassung schreiben dürfen und was Land- und Forstwirtschaft muss sich verändern. Dabei darf auch
nicht. Ich möchte aber betonen, dass der wissenschaftliche Haupttext, also 99 die Gentechnik kein Tabu sein. Auch ich bin kein Vegetarier, aber Prof. Dr. Wolfgang Kießling
Prozent des Sachberichts, ohne politische Einflussnahme erstellt wird. Fleisch ist einfach in vielerlei Hinsicht eine Sünde. Der Klimawan-
del muss jetzt endlich in die Köpfe rein. Wir dürfen ihn nicht ver-
Der IPCC würde schärfer formulieren? gessen, weil gerade in Europa Krieg herrscht, sondern sollten die WIR HABEN UNS VOR
Wir haben ja schon versucht, auf die niedrigen Szenarien abzuzielen, also auf Krise nutzen, um die erneuerbaren Energien richtig zu pushen und ALLEM MIT DEN ENDE-
die 1,5- oder Zwei-Grad-Grenze, während zunehmend immer klarer wird, dass wir die Strukturen umzustellen. MISCHEN ARTEN AUS-
EINANDERGESETZT.
in Richtung drei Grad gehen. Zwar hat der IPCC die Auswirkungen von drei Grad SIE SIND AM MEISTEN
diskutiert, blieb aber dennoch bei den 1,5 Grad. Denn bei diesem Schwellenwert BEDROHT, DENN ES
sind die Folgen noch abschätzbar und die Anpassung ist noch mit natürlichen Literaturtipps: GIBT JA EINEN GUTEN
Methoden möglich. So können wir beispielsweise die Hitzeinseln in den Städten IPCC Sixth Assessment Report (2022): Climate Change 2022: Impacts, Adaptation GRUND, WARUM SIE
mit mehr Begrünung eindämmen oder in den Tropen die Auswirkungen des Mee- and Vulnerability. Im Internet unter: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/ ENDEMISCH SIND.
resspiegelanstiegs durch Pflanzung von Mangroven lindern. Letzteres wird übri- Klaus Wiegandt (Hrsg.): 3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns
gens in Indonesien schon erfolgreich gemacht. Damit schlagen wir zwei Fliegen die Natur helfen kann, sie zu verhindern. Oekom Verlag München, 2022
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