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Schwerpunktthema Die menschliche Dimension im Artenschutz manatimagazin 23|01
Die Kaschmirproduktion ist die Haupteinnahmequelle
von Wanderhirten in der Mongolei. In vielen Gebieten
Zentralasiens geht sie mit Überweidung und Erosion
einher: Zu viele Kaschmirziegen beanspruchen die
karge Steppenlandschaft. Die Nomaden leben ihre seit
Jahrhunderten gepflegte Kultur und stehen gleichzei-
tig vor wachsenden Herausforderungen einer moder-
nen Welt. Wie gelingt es, ihre Tradition zu wahren und
gleichzeitig die einzigartige Steppenlandschaft zu
schützen?
Lena Michler ist Agrarwissenschaftlerin und promoviert über die Wanderhir-
ten im Schutzgebiet Great Gobi B, Mongolei. Sie leitet die sozio-ökonomi-
schen Projekte der International Takhi Group (ITG).
Überweidung bedroht die Lebensgrundlage
Die artenreiche Steppenlandschaft Zentralasiens birgt die weltweit
größten Restbestände von Asiatischen Wildeseln (Kulan, Equus
hemionus) und Urwildpferden (Takhi oder Przewalskipferd, Equus
ferus przewalskii). Diese Steppenspezialisten teilen ihren Lebens-
raum mit Wanderhirten, die bis heute eine uralte Tradition prakti-
zieren. Die Haupteinnahmequelle der Wanderhirten ist das im Früh-
jahr ausgekämmte Kaschmir, die Unterwolle der Kaschmirziegen. Die
steigende Nachfrage nach Kaschmirprodukten ließ die Herden rasch
ansteigen und gefährdet, in Kombination mit stark schwankenden
Niederschlägen, die intensiv beanspruchten Weideflächen der Wild-
und Nutztiere (Hilker et al., 2014; Wesche et al., 2010).
Herausforderungen der traditionellen Wanderhirten im 21. Jahr-
hundert
Im Dezember 2022 traf sich die internationale Staatengemeinschaft
in Montreal (CA) zur Biodiversitätskonvention (Convention on Bio-
logical Diversity; CBD). Zahlreiche Staaten erklärten sich bereit, bis
2030 einen Anteil von 30 Prozent ihrer Land- und Wasserflächen
unter Naturschutz zu stellen. Die Mongolei gilt als Vorreiter dieses
Vorhabens. In dem Land, das 4,4-mal so groß ist wie Deutschland,
leben nur rund 3,3 Millionen Einwohner – ein Drittel davon als Wan-
derhirten (Mongolian Statistical Information Service, 2023).
Im Südwesten der Mongolei haben derzeit 280 Familien mit ihren
KASCHMIRWOLLE Maßvoll Wenn die Wanderhirten einen len Zugang zum 18.000 Quadratkilometer großen Schutzgebiet
Nutztieren – Ziegen, Schafe, Pferde, Kühe und Kamele – saisona-
fairen Preis für die Kaschmirwolle erzielen
Great Gobi B. Bei ihren Wanderungen zwischen den Sommerwei-
können, müssen sie ihre Herden nicht ver-
den im Hochland des Altaigebirges und den Winterweiden in der
AUSKÖMMLICHE PRODUKTION IN größern. Die Tiere bleiben Landschaftspfle- Great Gobi B legen sie bis zu 120 Kilometer zurück und wechseln
ger, die Hirten bewahren ihre traditionelle
ihre Lagerstätten durchschnittlich neun Mal pro Jahr (Michler et
BEDROHTER STEPPENLANDSCHAFT Kultur. al., 2022). Diese Art der Beweidung ist nachhaltig, solange die
Nomaden ausreichend umherziehen. Moderate Beweidung und
natürliche Düngung stimuliert das Graswachstum, fördert die
Biodiversität der Pflanzen und erhält Weideland als einzigartiges
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