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Angepasst – Kraniche haben ihr Zugverhalten
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                                                                             inzwischen sogar in Deutschland überwintern.





                                                              Aythya ferina) im Nordosten deutlich an. Sehr
                                                              wahrscheinlich sind das die Vögel, die jetzt
                                                              in Süddeutschland fehlen. Eisfreie Gewässer
                                                              weiter nördlich machen es unnötig, weiter in
                                                              den Süden zu wandern.
                     Bekommt er im Winterquartier mit, ob es ein  Dem generellen Trend zu kürzeren Zugwe-
 statt artenreicher Wiesen ziehen keine Wach-  zeitiges Frühjahr bei uns gibt oder nicht? Und  gen und der Nordverschiebung von Über-
 tel (Coturnix coturnix) mehr an, leergefischte   kann er einfach schneller wieder hier sein? Ein  winterungsgebieten stehen aber auch weni-
 Meeresbuchten keine Seeschwalben (Sterni-  Stück weit verschieben auch Trauerschnäpper  ge Fälle gegenüber, in denen wir genau das
 dae) und insektenarme Gärten keinen Grau-  ihre Zugzeit und diese Vorverschiebung der  Gegenteil sehen: Der wärmeliebende, im
 schnäpper (Muscicapa striata). Wo auf kurz- davon ausgehen, dass in dieser Zeit weder   Ankunft von Zugvögeln im Frühjahr ist ein  Mittelmeerraum verbreitete Bienenfresser
 geschorenen Rasenflächen keine Sämereien  Feldlerche (Alauda arvensis) noch Weißstorch   weit verbreitetes Phänomen, das sich derzeit  (Merops apiaster) hatte noch vor 50 Jahren
 mehr zu finden sind, wandert kein Stieglitz  (Ciconia ciconia) im Frühjahr in diese Gegend   bei vielen Zugvögeln beobachten lässt.  nur sehr wenige Vorposten in  besonders
 (Carduelis  carduelis) hin. Die Amsel (Turdus  gewandert sind, weil es hier keinen Lebens-  Gleichzeitig ermöglicht es die Klimaerwär- warmen Regionen Deutschlands, wo er in
 merula) dagegen, die hier leicht zu jagende  raum für sie gab.   mung aber auch, weiter nördlich zu über- einigen Brutpaaren als große Rarität vorkam.
 Regenwürmer findet, profitiert von tristen  Und der Klimawandel? Vogelkundler haben   wintern, weil die Nahrungsverfügbarkeit dort  Heute brüten Bienenfresser sogar in Süd-
 Rasenflächen und hat sich in der Tat seit den  auf Änderungen im Zugverhalten von Vögeln   inzwischen ganzjährig gegeben ist. Derzeit  schweden, ziehen aber im Winter, soweit wir
 1950er Jahren vom wandernden Waldbewoh- durch Veränderung des Klimas schon zu einem   sind in süddeutschen Gewässern deutliche  wissen, in die traditionellen afrikanischen
 ner großteils zum sesshaften Gartenvogel  Zeitpunkt aufmerksam gemacht, als viele die   Rückgänge der überwinternden Wasservö- Wintergebiete. Ihr Zugweg hat sich um über
 entwickelt. Es ist anzunehmen, dass auch die  Existenz eines Klimawandels noch angezwei-  gel aus Nordosteuropa festzustellen. Gleich- 1000 Kilometer verlängert.
 Winterfütterung von Vögeln durch den Men- felt haben. Aber auch hier sind zumindest in   zeitig steigen die Zahlen beispielsweise von  Vogelzug unterliegt ständiger Veränderung.
 schen bei einer Art wie der Amsel ihren Teil  unseren Breiten die treibenden Kräfte nicht   Reiher- und Tafelente (Aythya fuligula und  So wie Individuen im Jahreslauf ihre Überle-
 dazu beiträgt, dass dank guter ganzjähriger  Hitze, Kälte oder Trockenheit selbst, sondern   bensbedingungen ständig optimieren, indem
 Nahrungsversorgung das Zugverhalten redu- die daraus resultierende Nahrungsverfügbar-  sie umherwandern, wird auch das Zugverhal-
 ziert wird.   keit.  Brutvögel  müssen  versuchen, die  Eiab-  ten selber laufend optimiert. Treibende Kraft
 lage so zu terminieren, dass Wochen später                   dahinter ist die Evolution, die letztlich nichts
 Generell modifiziert die Art der Landnutzung  die Nestlinge genau zur Zeit optimaler Nah-  anderes bedeutet als die immer wieder opti-
 durch den Menschen auch die Lebensräume  rungsverfügbarkeit versorgt werden können.   mierte Anpassung an Umweltbedingungen.
 der Tiere. Ändert sich die Landnutzung, ändern  Besteht diese Nestlingsnahrung nun wie bei   In Zeiten, in denen vor allem menschliche
 sich auch die Bedingungen für dort lebende  Meisen (Paridae) oder Trauerschnäpper (Fice-  Aktivitäten die Umweltbedingungen  – bis
 Vögel. So hat beispielsweise die Zunahme des  dula hypoleuca) aus Raupen, gilt es, sehr ge-  hin zum Klima – massiv verändern, ist daher
 Wintergetreideanbaus in Nordfrankreich dazu  nau zu planen: Viele Raupen treten nur eine   auch der Vogelzug einem massiven Wandel
 geführt, dass dort heute zahlreiche Kraniche  kurze Zeit im Frühjahr auf – vorher sind sie   unterzogen, wie es ihn wohl seit den Eiszei-
 (Grus grus) aus Norddeutschland und Süd- selber noch nicht geschlüpft und nachher   ten nicht mehr gab. Wir sehen derzeit erst
 schweden den Winter verbringen, die zuvor  sind sie verpuppt und kaum zu finden. Diese   ansatzweise, wer dabei die Gewinner und wer
 noch nach Spanien gewandert waren. Solche  Raupen-Peaks verschieben sich seit einigen   die Verlierer sind, auch wenn in Mitteleuropa
 Beispiele gibt es viele, aber wir können auch  Jahren zeitlich nach vorne, weil die Raupen   die ausgeprägten Zugvögel die größten Prob-
 einen ganz anderen zeitlichen Rahmen be- früher schlüpfen müssen, da sie wiederum   leme zu haben scheinen.
 trachten: Bevor der Mensch Platz für den  auf junge Blätter angewiesen sind. Und der
 Ackerbau geschaffen hat, war der größte Teil  Laubaustrieb verschiebt sich durch wärmere
 Mitteleuropas von Wald bedeckt. Wir können  Frühjahre ebenfalls deutlich nach vorne. Die
 kaum ziehenden Meisen können dann viel-
 leicht einfach früher brüten und dem Zeit-                   Profiteure – Langweilige Rasenflächen gefallen der Amsel.
 plan der Raupen folgen. Aber was tut der in                  Hier kann sie inzwischen ganzjährig leben und nur noch
 Westafrika überwinternde Trauerschnäpper?                    wenige ziehen wie früher in den Mittelmeerraum.



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