Page 36 - TGN-002_manatimagazin0224_2410_FPX-NN-final_WEB-DS_Neat
P. 36
Angepasst – Kraniche haben ihr Zugverhalten
in neuerer Zeit stark verändert und können
inzwischen sogar in Deutschland überwintern.
Aythya ferina) im Nordosten deutlich an. Sehr
wahrscheinlich sind das die Vögel, die jetzt
in Süddeutschland fehlen. Eisfreie Gewässer
weiter nördlich machen es unnötig, weiter in
den Süden zu wandern.
Bekommt er im Winterquartier mit, ob es ein Dem generellen Trend zu kürzeren Zugwe-
statt artenreicher Wiesen ziehen keine Wach- zeitiges Frühjahr bei uns gibt oder nicht? Und gen und der Nordverschiebung von Über-
tel (Coturnix coturnix) mehr an, leergefischte kann er einfach schneller wieder hier sein? Ein winterungsgebieten stehen aber auch weni-
Meeresbuchten keine Seeschwalben (Sterni- Stück weit verschieben auch Trauerschnäpper ge Fälle gegenüber, in denen wir genau das
dae) und insektenarme Gärten keinen Grau- ihre Zugzeit und diese Vorverschiebung der Gegenteil sehen: Der wärmeliebende, im
schnäpper (Muscicapa striata). Wo auf kurz- davon ausgehen, dass in dieser Zeit weder Ankunft von Zugvögeln im Frühjahr ist ein Mittelmeerraum verbreitete Bienenfresser
geschorenen Rasenflächen keine Sämereien Feldlerche (Alauda arvensis) noch Weißstorch weit verbreitetes Phänomen, das sich derzeit (Merops apiaster) hatte noch vor 50 Jahren
mehr zu finden sind, wandert kein Stieglitz (Ciconia ciconia) im Frühjahr in diese Gegend bei vielen Zugvögeln beobachten lässt. nur sehr wenige Vorposten in besonders
(Carduelis carduelis) hin. Die Amsel (Turdus gewandert sind, weil es hier keinen Lebens- Gleichzeitig ermöglicht es die Klimaerwär- warmen Regionen Deutschlands, wo er in
merula) dagegen, die hier leicht zu jagende raum für sie gab. mung aber auch, weiter nördlich zu über- einigen Brutpaaren als große Rarität vorkam.
Regenwürmer findet, profitiert von tristen Und der Klimawandel? Vogelkundler haben wintern, weil die Nahrungsverfügbarkeit dort Heute brüten Bienenfresser sogar in Süd-
Rasenflächen und hat sich in der Tat seit den auf Änderungen im Zugverhalten von Vögeln inzwischen ganzjährig gegeben ist. Derzeit schweden, ziehen aber im Winter, soweit wir
1950er Jahren vom wandernden Waldbewoh- durch Veränderung des Klimas schon zu einem sind in süddeutschen Gewässern deutliche wissen, in die traditionellen afrikanischen
ner großteils zum sesshaften Gartenvogel Zeitpunkt aufmerksam gemacht, als viele die Rückgänge der überwinternden Wasservö- Wintergebiete. Ihr Zugweg hat sich um über
entwickelt. Es ist anzunehmen, dass auch die Existenz eines Klimawandels noch angezwei- gel aus Nordosteuropa festzustellen. Gleich- 1000 Kilometer verlängert.
Winterfütterung von Vögeln durch den Men- felt haben. Aber auch hier sind zumindest in zeitig steigen die Zahlen beispielsweise von Vogelzug unterliegt ständiger Veränderung.
schen bei einer Art wie der Amsel ihren Teil unseren Breiten die treibenden Kräfte nicht Reiher- und Tafelente (Aythya fuligula und So wie Individuen im Jahreslauf ihre Überle-
dazu beiträgt, dass dank guter ganzjähriger Hitze, Kälte oder Trockenheit selbst, sondern bensbedingungen ständig optimieren, indem
Nahrungsversorgung das Zugverhalten redu- die daraus resultierende Nahrungsverfügbar- sie umherwandern, wird auch das Zugverhal-
ziert wird. keit. Brutvögel müssen versuchen, die Eiab- ten selber laufend optimiert. Treibende Kraft
lage so zu terminieren, dass Wochen später dahinter ist die Evolution, die letztlich nichts
Generell modifiziert die Art der Landnutzung die Nestlinge genau zur Zeit optimaler Nah- anderes bedeutet als die immer wieder opti-
durch den Menschen auch die Lebensräume rungsverfügbarkeit versorgt werden können. mierte Anpassung an Umweltbedingungen.
der Tiere. Ändert sich die Landnutzung, ändern Besteht diese Nestlingsnahrung nun wie bei In Zeiten, in denen vor allem menschliche
sich auch die Bedingungen für dort lebende Meisen (Paridae) oder Trauerschnäpper (Fice- Aktivitäten die Umweltbedingungen – bis
Vögel. So hat beispielsweise die Zunahme des dula hypoleuca) aus Raupen, gilt es, sehr ge- hin zum Klima – massiv verändern, ist daher
Wintergetreideanbaus in Nordfrankreich dazu nau zu planen: Viele Raupen treten nur eine auch der Vogelzug einem massiven Wandel
geführt, dass dort heute zahlreiche Kraniche kurze Zeit im Frühjahr auf – vorher sind sie unterzogen, wie es ihn wohl seit den Eiszei-
(Grus grus) aus Norddeutschland und Süd- selber noch nicht geschlüpft und nachher ten nicht mehr gab. Wir sehen derzeit erst
schweden den Winter verbringen, die zuvor sind sie verpuppt und kaum zu finden. Diese ansatzweise, wer dabei die Gewinner und wer
noch nach Spanien gewandert waren. Solche Raupen-Peaks verschieben sich seit einigen die Verlierer sind, auch wenn in Mitteleuropa
Beispiele gibt es viele, aber wir können auch Jahren zeitlich nach vorne, weil die Raupen die ausgeprägten Zugvögel die größten Prob-
einen ganz anderen zeitlichen Rahmen be- früher schlüpfen müssen, da sie wiederum leme zu haben scheinen.
trachten: Bevor der Mensch Platz für den auf junge Blätter angewiesen sind. Und der
Ackerbau geschaffen hat, war der größte Teil Laubaustrieb verschiebt sich durch wärmere
Mitteleuropas von Wald bedeckt. Wir können Frühjahre ebenfalls deutlich nach vorne. Die
kaum ziehenden Meisen können dann viel-
leicht einfach früher brüten und dem Zeit- Profiteure – Langweilige Rasenflächen gefallen der Amsel.
plan der Raupen folgen. Aber was tut der in Hier kann sie inzwischen ganzjährig leben und nur noch
Westafrika überwinternde Trauerschnäpper? wenige ziehen wie früher in den Mittelmeerraum.
36