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Schwerpunktthema Seuchen                          manatimagazin 25|01



 Inwiefern spielen Klimaveränderungen eine Rolle?  Mit den Proben, die Sie bei Ihren Forschungs-  … „Team der WHO ohne Ergebnisse
 Viele der Tiere, die für die Entstehung von Zoonosen   projekten nehmen, bauen Sie unter dem Titel    aus China zurückgekehrt“ …
 relevant sind, wie verschiedene Mücken oder andere   „One Health Exploratorien“ eine Datenbank auf –   Genau. Aber so war das nie gedacht. Ich war online da-
 Insekten, sind klimasensitiv. Das heißt zum Beispiel,   eine Art „Spitzbergen der Krankheitserreger“?  bei, meine Kollegen saßen in Wuhan in Meetings und
 dass manche Arten sich besser vermehren – und man-  (Lacht) Gerade bei Langzeituntersuchungen ist es ganz  haben sich angehört, was die chinesischen Kollegin-
 che kommen in Gegenden vor, in denen sie vorher   wichtig, dass man die Proben vernünftig aufbewahrt  nen und Kollegen schon gemacht haben. Auf dieser
 nicht vorkamen.   und sie auch der wissenschaftlichen Community zu- Basis haben wir Empfehlungen abgegeben, was man
             gänglich macht – mit den ganzen Hintergrunddaten,  noch machen sollte. Wir haben also ein gutes Ergeb-
 Auch Menschen kommen zunehmend in Gegenden   die dazu gehören. Das ist ein Riesenthema und hoch  nis geliefert. Das ist dann nicht so systematisch wei-
 vor, in denen sie vorher nicht vorkamen …  komplex, weil alles wirklich gut dokumentiert sein  terverfolgt worden, weil es viel zu politisiert war. Ich
 Genau. Wir dringen weiter in natürliche Lebensräu-  muss. Bei Humandaten gilt es, Datenschutzaspekte  glaube, das geht nicht mit Druck, sondern das muss
 me vor. Zusätzlich sind die Menschen aber auch noch   und ethische Aspekte zu beachten.   aus der wissenschaftlichen Community kommen.
 besser verbunden mit der globalen menschlichen Ge-  Dann gibt es Aspekte von Benefit-Sharing mit den
 meinschaft. Anders als vor zehn, zwanzig Jahren kom-  Partnern  in  Afrika.  In  dem  Zusammenhang  ist  das   Stichwort „politisiert“ – inwiefern gehört
 men wir heutzutage innerhalb von zwei, drei Tagen   Nagoya-Protokoll ganz wichtig. Wir können nicht ein-  Politikberatung zu Ihren Aufgaben?
 in jedes Urwalddorf irgendwo. So wie wir schnell in   fach nach Afrika ziehen, wie die Kollegen das früher  Es ist immer mehr Teil meiner Aufgaben. Ich bin auch in
 entlegene Gegenden kommen und auch weiter in ent-  gemacht haben oder manche heute noch, weil sie das  verschiedenen Beiräten, zum Beispiel bin ich Sprecher
 legene Gegenden vordringen, so kommen die Erreger   Nagoya-Protokoll nicht unterschrieben haben, Proben  des „One Health Beirates“ des Bundesministeriums für
 anders herum auch schneller dort heraus.   einsacken und damit tolle Wissenschaft zu Hause ma- Zusammenarbeit und Entwicklung. Man könnte sich
 Bleiben  Krankheiten nicht  in  einem  kleinen  Urwald-  chen, vielleicht noch einen Impfstoff entwickeln und  auch nur noch in solchen Bereichen aufhalten – aber
 dorf hängen, sondern kommen in die größeren Städte,   Gradmesser – Mitarbeiter des HIOH bringen   die Leute vor Ort haben nichts davon. Das sind lauter  das möchte ich natürlich nicht. Denn es wird sehr viel
 wird es natürlich ungleich schwieriger, Krankheitsge-  Temperaturlogger im Nationalpark Tai an.  Aspekte, die wir sehr ernst nehmen. Jede Probe hat  diskutiert und es werden Strategien entwickelt. Aber
 schehen einzudämmen.  ihre eigene Erlaubnis, fällt unter ein Agreement und  die Frage lautet ja auch: „Wer setzt sie denn um und
 Dazu kommt, dass in vielen Ländern, in denen wir die   muss legal importiert sein.  wer testet sie?“ Ich halte es für sehr wichtig, dass wir
 Umweltveränderungen haben, nur eine sehr schwa-              diese Daten generieren. Das ist der Hut, den ich mir
 che Infrastruktur vorhanden ist. Das macht es schwer,   Eines Ihrer großen Forschungsziele besteht darin,   2020 gehörten Sie einem Expertengremium an,    lieber aufsetze.
 rechtzeitig zu erkennen, wenn ein neuer Erreger auf-  potenzielle Erreger von Zoonosen zu identifizieren.   das im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation
 taucht. Das sind die strukturellen Aspekte, welche die   Wie gehen Sie dabei vor?  WHO den Ursprung der Corona-Pandemie
 Entstehung von Zoonosen begünstigen.  Es gibt dafür verschiedene Ansätze, aber mein Ste-  herausfinden sollte …   Hier geht’s zur
 ckenpferd ist nach wie vor, dass wir Wildtiere wie Men-  Es gab eine Ausschreibung der WHO für Expertinnen   „One Health Platform“
 In sogenannten „sentinel regions“ möchten Sie   schenaffen als sogenannte Sentinels nutzen, als quasi   und Experten, die sich einbringen wollten, um zu sich-
 und Ihre Kollegen ganzheitlich verstehen,    natürlich  lebende  Versuchskaninchen,  die  in  diesen   ten, was an Daten bereits vorhanden war und was an
 wie es zu Zoonosen und Pandemien kommt.    Urwäldern leben. Wenn diese Tiere krank werden oder   wissenschaftlicher Arbeit notwendig wäre, um heraus-
 Was macht diese Regionen aus?  auch sterben, können wir Proben nehmen. Wenn sie   zufinden, woher das Virus wirklich kommt. So war das
 In vielen Regionen Zentralafrikas, zum Beispiel im   noch lebendig sind, nehmen wir Kot und Urin, ohne   formuliert, sonst hätte ich mich dafür nicht gemeldet.  NAGOYA-PROTOKOLL
 Osten des Kongo, herrscht seit vielen Jahren eine per-  die Tiere zu stören. Wenn sie gestorben sind, machen   Es ging darum, zu sichten, was da ist, und Empfehlun-
 manente Krise – eine Umweltkrise, eine menschliche,   wir eine Autopsie, um zu sehen, was dieses Tier umge-  gen zu geben, was an weiterer Wissenschaft passieren   Das „Protokoll von Nagoya über den Zugang zu geneti-
 eine soziale und eine politische Krise. Das sind Re-  bracht hat. Je nachdem, was man findet, ist das auch   muss. In der Presse wurde das leider anders dargestellt.  schen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte
 gionen, in denen große Armut herrscht, in denen der   für  Menschen  relevant,  weil  wir  uns  sehr  nahe  sind.   Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile“
 Staat nicht bis in den letzten Winkel durchgreift. Dort   Auf diese Weise haben wir einen neuen Milzbrand-Er-  ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der auf der
 werden weiter Mineralien abgebaut, es werden weiter   reger  gefunden,  wir haben herausgefunden,  dass es   zehnten Vertragsparteienkonferenz des Übereinkommens
 Wälder abgeholzt.  ein Umweltreservoir für Lepra geben muss und Hin-  über die biologische Vielfalt im Jahr 2010 angenommen
 Gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern wollen   weise auf das Reservoir von Affenpocken. Das machen   wurde und am 12. Oktober 2014 in Kraft getreten ist.
 wir sogenannte „sentinel regions“ oder „One-Health-  wir inzwischen in verschiedenen Projekten in Afrika.   Deutschland ist seit 2016 Vertragspartei. Ziel des Nagoya-
 Exploratorien“ etablieren. Wo wir uns langfristig und re-  Der andere Ansatz ist aber auch, zu schauen, was beim   Protokolls ist es unter anderem, Herkunftsländer in
 gelmäßig ganz genau die Gesundheit der Menschen, in-  Menschen ankommt. Dafür arbeiten wir sehr eng mit   gerechter Weise an den Vorteilen, die sich aus der Nutzung
 klusive ihrer Interaktion mit der Umwelt, aber auch die   unseren afrikanischen Partnern vor Ort und mit loka-  ihrer genetischen Ressourcen ergeben, zu beteiligen.
 infektiologischen Geschehnisse, die Umwelt inklusive   len Krankenhäusern zusammen.   Quelle
 Klima und die Tierwelt – Nutztiere, Haustiere, Wildtie-  In einer dritten Schiene schauen wir, welches Spekt-  Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Nukleare Sicherheit und
 re – ansehen. Das alles, um einmal tiefgehend zu sehen,   rum an Krankheitserregern in den vermuteten Reser-  Verbraucherschutz.
 wie die Dinge wirklich zusammenhängen. Wir hoffen,   voiren in Fledermäusen, Nagetieren und bei Insekten
 damit Stellschrauben zu finden, an denen man drehen   vorkommt und welche Kontakte es zwischen verschie-
 könnte, um Risiken zu reduzieren. Und das zusammen   denen Spezies und den Menschen gibt. Wir versuchen   Sentinel – Prof. Leendertz und seine Kolleginnen und
 mit der Bevölkerung, denn die muss das wollen und ak-  immer, von allen Richtungen zu kommen und nicht   Kollegen erforschen, welche Krankheitserreger bei
 zeptieren, und am besten müssen es deren Ideen sein.   nur einen Weg zu nehmen.  wildlebenden Affen vorkommen. Diese können auch
                                                                                        für den Menschen relevant sein.
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