Page 39 - manatimagazin_seuchen_25_01
P. 39
manatimagazin 25|01 manatimagazin 25|01
VIRUS IM WANDEL:
Von Vögeln zu Säugetieren:
die Natur von H5N1
DIE VOGELGRIPPE IST Die unmittelbare Nähe infizierter Vögel zu
den Brutkolonien südamerikanischer Rob-
ben, wie z. B. der Südamerikanischen Pelz-
AUCH FÜR MEERESSÄUGER amerikanischen Seelöwen (Otaria flavescens)
robbe (Arctocephalus australis), des Süd-
und des Südlichen Seeelefanten (Mirounga
leonina), führte zu einer raschen Verbreitung
EINE TÖDLICHE GEFAHR Virus verursachte schwere respiratorische
der Krankheit unter diesen Säugetieren. Das
und neurologische Auswirkungen und führ-
Schwerpunktthema Seuchen
te zu einer schnellen Sterblichkeit. Zu den
Die tödliche H5N1-Vogelgrippe bedroht ganze Populationen südamerikanischer Robben. klassischen Symptomen gehörten Lethargie,
An der Pazifikküste erstmals 2022 entdeckt, breitete sich das Virus rasch aus und erreichte Krämpfe, Verlust der motorischen Koordina-
bis 2024 die Antarktis. Der starke Kontakt unter den Meeresraubtieren erleichterte die tion, abnorme Atmung und Nasensekretion.
Darüber hinaus wies der Stamm eine erhöh-
Übertragung und führte zu katastrophalen Verlusten. Das Risiko für den Menschen ist te Pathogenität und das Potenzial zur Über-
zwar nach wie vor gering, doch angesichts der Mutation des Virus ist eine ständige tragung von Säugetier zu Säugetier auf, was
Überwachung von entscheidender Bedeutung. eine ernsthafte Bedrohung für Arten dar-
stellt, die in dichten Kolonien leben und hier
Renan C. de Lima ist promovierter Biologe und arbeitet am Labor für Ökologie und Erhaltung der marinen Mega- ihre Jungen aufziehen.
fauna, das zum Institut für Meereskunde der Universität Rio Grande gehört.
HPAI-Notfall in Südamerika
Verwundbar – Eine junge südamerikanische Die Sterblichkeitsrate bei Seeelefanten war
er Schutz von Meeressäugetieren Pelzrobbe (Arctocephalus australis) in Südbrasilien. in verschiedenen Regionen katastrophal, am
steht vor einer neuen und unerwarte- Auch sie ist anfällig für das H5N1-Virus. höchsten war sie jedoch in Chile und Peru mit
Dten Herausforderung, die diesmal von Zehntausenden von Tieren. Auf der argenti-
der Natur selbst ausgeht: Das 1996 erstmals nischen Halbinsel Valdés, dem weltweit ein-
identifizierte hochpathogene Vogelgrippe- zigen kontinentalen Platz, an dem Südliche
virus H5N1 (HPAI) erlebte seinen stärksten Seeelefanten ihre Jungen zur Welt bringen,
Ausbruch zwischen 2020 und 2023, ausgelöst starben fast alle Jungtiere der Saison 2023,
durch einen neuen Stamm (2.3.4.4b), der in ebenso wie viele ausgewachsene Tiere. Im
Europa und Asien auftauchte. Dieses Virus darauffolgenden Jahr fanden die Forscher
verursachte ein Massensterben unter Vögeln, eine deutlich kleinere Kolonie vor. In Uruguay
sowohl in der Wildbahn als auch in der Ge- wurden die Seelöwen- und Pelzrobbenpopu-
flügelindustrie. In Südamerika, wo Ausbrüche lationen ebenfalls stark in Mitleidenschaft
seltener vorkamen, waren die Auswirkungen gezogen, wobei sowohl im Land selbst als
auf die Tierwelt besonders schwerwiegend. auch entlang der brasilianischen Grenze eine
Das Virus wurde erstmals im Oktober 2022 hohe Sterblichkeitsrate gemeldet wurde. Be-
an der Pazifikküste entdeckt und breitete sonders besorgniserregend sind die Auswir-
sich rasch von Kolumbien nach Peru, Vene- kungen auf die Seelöwen, deren Populationen
zuela, Ecuador und Chile aus, um bald darauf in der Region ohnehin bereits rückläufig sind.
Argentinien, Uruguay und Brasilien an der At- Gründe sind hier Probleme mit der Fischerei
lantikküste zu erreichen. Ende 2023 und An- und die räumliche Konkurrenz mit den Pelz-
fang 2024 gab es die ersten Nachweise, dass robben, die sich dieselben Plätze teilen.
das Virus die subantarktischen und antarkti-
schen Regionen erreicht hatte – eine Ausbrei-
tung, die durch den hohen Kontakt zwischen
marinen Raubtieren, insbesondere zwischen
dem Südatlantik und dem Antarktischen
Ozean, erleichtert wurde.
38 39