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„DER NATURVERBRAUCH HAT Rückzugsorte – Amphibien und Reptilien wie die
Ringelnatter profitieren von naturnahen Bereichen
neben Wirtschaftsflächen.
IN UNSEREM WIRTSCHAFTS-
SYSTEM KEINEN PREIS“
Dr. Mathias Orgeldinger, Biologe und Journalist, im Gespräch mit Jörg-Andreas Krüger, Präsident des NABU
Schwerpunktthema Freie Natur?
Herr Krüger, gibt es in Deutschland noch Deutschland hat seit 1980 35 Prozent seiner
freie Natur? Feldvogelarten verloren, die Biomasse an
Insekten ist seit 1989 um drei Viertel zu-
Das ist eine gute Frage. Natürlich haben wir rückgegangen. Ist die kommerzielle Land-
jetzt keine echte Wildnis mehr, wie wir sie in wirtschaft der Hauptverursacher für das Sie haben in einem Interview mit der TAZ Die EU-Kommission hat im Februar die
anderen Teilen der Welt finden. Aber das Ge- Artensterben? gesagt, Steuergelder sollten dazu verwen- Pflicht zur Stilllegung von mindestens vier
fühl in der Freiheit der Natur zu sein, haben det werden, die Landwirte nicht für die Aus- Prozent der Ackerflächen ausgesetzt. Wie
wir zumindest in einigen Großlandschaften, In Deutschland ist es schon so, dass die kon- übung ihres Berufes, sondern für öffentliche stehen Sie dazu?
sei es im Wattenmeer oder in der großen ventionelle Landwirtschaft und ihre Inten- Leistungen zu honorieren. Können Sie das
Offenlandschaft hier in Nordostdeutschland. sivierungsschübe ein massiver Treiber sind. erläutern? Wir haben das scharf kritisiert. Die Regelung
Dort hat man noch das Gefühl, es öffnet sich Wir würden es uns aber zu bequem machen, war der Versuch, die Direktzahlung an Bedin-
das Blickfeld, es öffnet sich die Seele. Deswe- wenn wir jetzt den Landwirtinnen und Land- Wir haben ja momentan in der gemeinsa- gungen zu knüpfen. Ich habe viele Gespräche
gen würde ich sagen, ja, freie Natur haben wir wirten einseitig die Schuld zuschieben. Wir men Agrarpolitik unglaublich viel Geld. Da mit Landwirtinnen und Landwirten geführt.
schon noch, aber eben keine Wildnis-Natur alle sind diejenigen, die die günstigen Pro- gehen sechs Milliarden Euro pro Jahr allein Die vier Prozent sind bei vielen Betrieben gar
im Sinne der Definition von Naturnähe. dukte kaufen. Die Verbraucherinnen und Ver- zurück von Brüssel an die deutsche Landwirt- nicht das Problem. Vier Prozent Fläche, die
braucher hätten die Möglichkeit, ökologisch schaft, darunter Direktzahlungen pro Hektar, man ein Jahr lang liegen lässt, finden sich
hergestellte Lebensmittel zu kaufen, tun die nicht wirklich an Bedingungen geknüpft auf jedem Betrieb. Schwierig sind die Be-
dies aber mehrheitlich nicht. Am Ende muss sind. Das bedeutet, im Prinzip bekomme ich richts- und Nachweispflichten. Man musste
der Landwirt von dem, was er anbaut, leben Geld dafür, dass ich meinen Job mache und zu den Konditionalitäten gegenüber Brüssel
können. Und wenn das alles im globalisierten ihn entsprechend der fachlichen Praxis und berichten, bei den ökologischen Maßnahmen
Wettbewerb geschieht, dann leidet am Ende der gesetzlichen Rahmenbedingungen ausü- gegenüber der Bundesregierung und in der
der Punkt, dem kein Preis zugewiesen wird, be. Das System der Direktzahlungen stammt zweiten Säule gegenüber der Landesregie-
und das ist die heimische Natur. Was keinen noch aus der Zeit der Ernährungsunsicher- rung. Das hat die Landwirte frustriert.
Preis hat, hat in diesem System auch keinen heit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals
Wert. ging es auch um eine bessere Qualifizierung Die Regelungsidee war gut, aber sie wur-
der landwirtschaftlichen Arbeit. de viel zu komplex umgesetzt. Jetzt geht es
Im Englischen wird dabei immer von der Tra- darum, wie erreiche ich das qualitative Ziel,
gik der Allmende, also der Tragik der Gemein- Diese Art von Förderung müssen wir ändern, das hinter der Idee dieser Brachfläche stand.
güter gesprochen. Eine Studie besagt, dass wenn wir biologische Vielfalt und gesunde Mein Vorschlag: Wir senken beispielsweise
die negativen Kosten der Landwirtschaft in Böden erhalten wollen. Es geht um weit mehr das Geld für die Direktzahlung ab und bieten
Deutschland bei weit über 90 Milliarden pro als nur um Rebhuhn, Kiebitz und Goldammer. dafür eine Honorierung für die Brache. Die
Jahr liegen. Wir bräuchten, das hat die Zu- Wir sollten die öffentlichen Gelder besser für Proteste der Landwirte haben einen Wesens-
kunftskommission Landwirtschaft heraus- eine Honorierung ökologischer Maßnahmen kern, den man nicht wegdiskutieren kann.
gearbeitet, etwa jährlich 13 Milliarden, um es einsetzen. Ein Landwirt, der eine Hecke an- Als Reaktion trifft die Politik schnelle Ein-
besser zu machen. Letztlich wäre es volks- pflanzt, einen Blühstreifen anlegt oder ein zelentscheidungen, bleibt aber die Antwort
wirtschaftlich billiger, es funktioniert aber Feldlerchenfenster offen hält, sollte dafür Geld schuldig, wie sie die Ziele erreichen will.
nicht, weil der Naturverbrauch in unserem bekommen. Das knappe Fördergeld muss mit
Jörg-Andreas Krüger, Präsident des NABU Wirtschaftssystem keinen Preis hat. einer Lenkungswirkung versehen werden.
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