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 ÜBER DEN BEGRIFF                           Kant und (später) Hegel – werden dann Gedanken entwickelt, wie sie für
                                            uns heute grundlegend sind. Und völlig selbstverständlich ist etwa für Kant
 FREIHEIT                                   sind für Kant gerade nicht in der Natur zu finden.
                                            Freiheit immer mit menschlicher Vernunft verbunden: Ohne Vernunft folge
 DER                                        der Mensch seinem Trieb wie ein Tier. Wer macht, wozu er Lust hat, handelt
                                            gerade nicht frei, denn die Vernunft lasse den Menschen das Gute erkennen.
                                            Freies Handeln und moralisches Handeln bedeuten dann dasselbe – und

                                            Andere haben die Abgründe der Freiheit betont: Für Sartre ist der Mensch
                                            seiner Freiheit ausgeliefert. Wer frei handeln kann, der muss auch handeln
                                            (und sich entscheiden). In der europäischen Geistesgeschichte der Neuzeit
                                            ist der Begriff der Handlungsfreiheit zentral. Wenn eine Person weder durch
                                            innere noch durch äußere Zwänge eingeschränkt wird, handelt sie frei und
                                            autonom. Sämtliche  Begriffe  in  diesem  Zusammenhang  –  Handeln,  Per-
 Schwerpunktthema Freie Natur?
 „Freiheit“ ist ein Begriff, der in vielen Lebensbereichen Anwendung findet. Auch im   son, Autonomie – sind in der philosophischen Tradition stark aufgeladen.
 Zookontext wird er häufig diskutiert. In westlich geprägten Kulturkreisen wurde und   Ihnen allen gemeinsam ist, dass mit ihnen in der Moderne bis in jüngste
 wird der Begriff philosophisch, theologisch und ethisch laufend reflektiert: „Frei-  Zeit die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier markiert wurde: Nur der
 heit“ als Produkt der Vernunft, als gesellschaftliche Vereinbarung und nicht zuletzt   Mensch gilt als der homo faber. Er unterscheidet sich nicht grundsätzlich
                                            vom Tier, kann – und muss – aber in völlig anderem Ausmaß die Welt, in
 als Auftrag, Verantwortung zu übernehmen.
                                            der er lebt, gestalten. Diese Form des Handelns gilt als Folge von Vernunft,
                                            Autonomie und Freiheit.
 Clemens Wustmans, Theologe und Wissenschaftlicher Koordinator der Internationalen Forschungsgruppe
 Transformative Religion am Lehrstuhl für Systematische Theologie (Ethik und Hermeneutik) an der Humboldt-  Reviergrenze – Auch wenn   Der Begriff der Freiheit kann dabei sowohl als negative, wie auch als posi-
 Universität zu Berlin  die Kängurus im Tiergarten   tive Freiheit verstanden werden: Negative Freiheit meint die Freiheit von
             den Zaun leicht überwinden     Zwängen oder Eingriffen, positive Freiheit die Freiheit zu etwas, etwa die
             könnten, tun sie es nicht.     Reise- oder Pressefreiheit.


 1. Freiheit als Produkt der Vernunft

 Wer für die Freiheit eintritt, muss nicht mit viel Widerspruch rech-
 nen – wer ist schon gegen Freiheit? Die Allgemeine Erklärung der
 Menschenrechte eröffnet mit der Feststellung, alle Menschen
 seien frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Der Begriff
 und die daraus folgenden Konsequenzen ziehen sich durch alle 30
 Paragraphen. Das Wissenschaftsjahr 2024, eine Initiative des Bun-
 desforschungsministeriums, steht unter dem Motto Freiheit. Frei-
 heitsrechte spielen eine zentrale Rolle in den Grundrechtsartikeln
 des Grundgesetzes – von der freien Meinungsäußerung über die
 Berufsfreiheit bis hin zur Religionsfreiheit. Und die Gedanken sind
 ja ohnehin frei.
 Für Kant ist Freiheit die Voraussetzung jeder Form von Moral. Und
 ganz selbstverständlich sprechen wir auch von der freien Natur.
 Spätestens an dieser Stelle lohnt sich ein genauerer Blick, denn
 hier haben wir es offensichtlich mit sehr unterschiedlichen Ideen
 von Freiheit zu tun, vielleicht sogar mit Gegensätzen.
 Freiheit als Begriff der Ideengeschichte ist ständiger Diskussions-
 gegenstand und kann nicht abschließend definiert werden, man
 kann aber eine grundsätzliche Bedeutung festhalten: Gemeint ist
 die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Optionen
 wählen und entscheiden zu können. Dass diese Freiheit allen Men-
 schen zusteht, ist ein recht neuer Gedanke: In der griechisch-römi-
 schen Antike etwa waren philosophische Überlegungen zur Frei-
 heit sehr komplex, in der Praxis galten sie aber nur für erwachsene
 Männer der Oberschicht – Frauen, Sklaven oder Menschen ohne
 Bürgerstatus waren ganz selbstverständlich nicht frei. In der Re-
 naissance und mit der Aufklärung – Voltaire, Locke und vor allem



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