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Schwerpunktthema Die menschliche Dimension im Artenschutz  manatimagazin 23|01




                     Walarten, -unterarten und -unterpopulationen anerkannt, von denen 24 als vom Aussterben be-
                     droht und 25 als gefährdet gelten. Besonders kritisch ist die Lage bei den Fluss- und Küstenarten.


                     Wie Experten diverser Fachrichtungen und Nationalitäten bereits auf dem ESOCC Workshop
                     (Ex-situ options for Small cetaceans – WS) 2018 im Tiergarten Nürnberg erörtert haben, be-
                     steht die Hauptbedrohung für alle diese Arten in menschlichem Wirken, vor allem der Fische-
                     rei (Taylor et al., 2020). Die letzten Jahre haben gezeigt, dass alle Maßnahmen zum Schutz
                     dieser Arten vor Ort fehlgeschlagen sind, weil der Mensch, in diesem Fall der Fischer, nicht in
                     ihre Strategien integriert wurde.

                     Um herauszufinden, wie die Menschen in den Schutzprozess einbezogen werden können,
                     organisierte Yaqu Pacha e.V. zusammen mit dem Tiergarten Nürnberg und dem Verein der
                     Tiergartenfreunde Nürnberg e.V. im Dezember 2022 ein Workshop mit dem Titel „Human Di-
                     mensions for Small Cetacean Conservation“ mit Teilnehmenden aus 14 Ländern und aus ver-
                     schiedenen Disziplinen. Ziel dieses Workshops war es, die Rolle des menschlichen Verhaltens
                     sowie der Einstellungen und Wahrnehmungen insbesondere der Bevölkerung vor Ort bei den
                     Bemühungen zum Schutz von Kleinwalen zu untersuchen.

                     Die Teilnehmenden erörterten die aktuellen Herausforderungen und Möglichkeiten bei der
                     Einbindung lokaler Gemeinschaften und Interessengruppen in die Erhaltungsbemühungen.
                     Dabei haben die Experten die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes, der soziale, wirt-
 WISSEN AUF EINEN BLICK  schaftliche und kulturelle Faktoren berücksichtigt, hervorgehoben.

 Beifang Ein Sotalia Delfin ist Fischern im brasilia-  Sie betonten, wie wichtig die Zusammenarbeit von Naturschutzorganisationen, Regierungen
 KLASSISCHE UND ANGEWANDTE SOZIALWISSEN-  nischen Bundesstaat Pará versehentlich ins Netz   und lokalen Gemeinschaften bei den Schutzbemühungen ist – ebenso wie ein anpassbares
 SCHAFTEN IM ARTENSCHUTZ  gegangen. Auch kleinen, familiären Fischereibe-  Management der Projekte. Denn wo Menschen im Spiel sind, ändern sich im Laufe der Zeit
 trieben passiert das immer wieder – deswegen ist   Bedürfnisse und Perspektiven. Ein funktionierendes und nachhaltiges Schutzkonzept bezieht
 Zu den klassischen sozialwissenschaftlichen Disziplinen   die Zusammenarbeit mit ihnen für den Arten-  diese menschliche Dimension mit ein.
 gehören Soziologie, Anthropologie, Politikwissenschaft,   schutz unabdingbar.
 Geografie, Wirtschaftswissenschaft, Geschichte und Psycho-  Zusammenfassung
 logie. Zu den angewandten Sozialwissenschaften gehören   Trotz der zunehmenden Anerkennung der Bedeutung der menschlichen Dimension wird im
 Pädagogik, Kommunikationswissenschaften, Entwicklungs-  machen, wie die biologische Vielfalt erhalten   Artenschutz immer noch mehr Gewicht auf ökologische als auf soziale Überlegungen gelegt.
 studien und Recht. All diese Fachbereiche können einen   werden kann. Aber es ist nicht so einfach,   Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Forschende und Manager im Naturschutz erkennen
 wertvollen Beitrag zum Erfolg von Artenschutzprojekten   die Diskussion über die Erhaltung der biolo-  müssen, wie wichtig es ist, die menschliche Dimension im Vorfeld zu ergründen. Dies kann zur
 leisten: Denn jeder geht mit seiner spezifischen Perspektive   gischen Vielfalt auf diese einfache Formel zu   verbesserten Kommunikation aller Beteiligten, zur Einbeziehung der Öffentlichkeit und zur öf-
 an ein Problem heran – und je intensiver all diese Blickwinkel   bringen.    fentlichen Unterstützung für die Formulierung einer nachhaltigen Umweltpolitik führen.
 berücksichtigt werden, desto umfassender und nachhaltiger
 die Lösungswege.  Wo immer es zu Konflikten zwischen Wildtie-  Naturbasierte Lösungen sind immer noch die effizientesten und wirtschaftlich nachhaltigs-
 ren und Menschen kommt, müssen alle Sei-  ten Lösungen für das Überleben von Natur und Mensch. Denn eines ist sicher: Der Mensch
 ten berücksichtigt werden: die Interessen der   wird immer auf die Nutzung der natürlichen Ressourcen angewiesen sein. Deshalb ist es wich-
 Arten, die Interessen der Menschen, die dort   tig, mit dem Schutz der Natur soziale und wirtschaftliche Werte zu schaffen, die den Menschen
 leben, und die wirtschaftlichen und sozialen   zugutekommen. Auf diese Weise erhöht man gleichzeitig und nachhaltig die Überlebenswahr-
 Umstände. Nur, wenn dieser "Triple-Bottom-Line"-Ansatz maximiert wird, kann ein nachhaltiger Artenschutz   scheinlichkeit für Wildtiere und Pflanzen.
 erreicht werden.
                 Erfahren Sie auf den folgenden Seiten mehr über die beteiligten Experten und deren Forschungsansätze!
 Es ist wichtig, eng mit den Gemeinschaften als Interessengruppen zusammenzuarbeiten und sicherzustellen,
 dass bestehende soziale und wirtschaftliche Missverständnisse und Ungerechtigkeiten nicht fortgeschrieben
 werden. All das kann nur erreicht werden, wenn alle Erfahrungen aus den Disziplinen Wirtschaft, Politik, Sozio-  Referenzen
 logie, Anthropologie, Kommunikation, Marketing und Psychologie in einer bindenden Strategie zusammen-  Schultz, P. W. (2011). Conservation Means Behavior. Cons. Biology, 25, https://doi.org//10.1111/j.1523-1739.2011.01766.x
 geführt werden.     Soulé, M.E. (1985) What is Conservation Biology? A new synthetic discipline addresses the dynamics and problems of perturbed
                      species, communities, and ecosystems, BioScience, Volume 35, Issue 11, Pages 727–734, https://doi.org/10.2307/1310054
 Die menschliche Dimension beim Schutz von Kleinwalen  Taylor, B.L., Abel, G., Miller, P., Gomez, F., von Fersen, L., DeMaster, D.P., Reeves, R.R., Rojas-Bracho, L., Wang, D., Cipriano, F. (eds).
 Eine Tiergruppe, die von der Biodiversitätskrise besonders stark betroffen ist, sind Kleinwale. Nach der jüngsten   (2020). Ex situ options for cetacean conservation: December 2018 workshop, Nuremberg, Germany. IUCN. Gland, Switzerland.
 Bewertung der Weltnaturschutzunion IUCN (SSC Cetacean Specialist Group, Dez. 2022) sind derzeit insgesamt 134   https://doi.org/10.2305/IUCN.CH.2020.SSC-OP.66.en



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