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                                                                                                                                            FÜR EIN VIELFÄLTIGES UND
                                                                                                                                            GESUNDES ÖKOSYSTEM:

                                                                                                                                            WERTVOLLE



                                                                                              Chancenlos – Junge Eschen
                                                                                              sterben zügig ab, wenn sie
                                                                                              mit dem „Falschen Weißen                      TIERKADAVER
                                                                                                    Stengelbecherchen“
                                                                                                 in Berührung kommen.


                                                                                                                                            Wildtierkadaver sind wahre Hotspots der Biodiversität, die wichtige Einblicke in ökolo-
                                                                                                                                            gische Prozesse ermöglichen. Indem Kadaver nicht nur als Entsorgungsproblem
                                                                                                                                            betrachtet, sondern als Schlüssel zur Erforschung natürlicher Prozesse genutzt werden,
                                                                                                                                            kann ein bedeutender Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität geleistet werden. Kadaver-
                                                                                                                                            verwerter wie Geier können wiederum bei der Eindämmung von Seuchen eine entschei-
                                                                                                                                            dende Rolle spielen. Der Tiergarten Nürnberg unterstützt Projekte zur Kadaverökologie,
                                                                                                                                            etwa durch die Bereitstellung toter Wisente für die Nationalparks Šumava und Bayeri-
                                                                                                                                            scher Wald.

                                                                                                                                            Dr. Christian von Hoermann, Biologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Würzburg, arbeitet und
                                                                                                                                            forscht seit 2009 auf dem Gebiet der forensischen Chemoökologie und der Kadaverökologie. Seit Oktober 2022
                                                                                                                                            ist er als Projektkoordinator im Kadaverökologieprojekt des Bundesamts für Naturschutz (BfN) unter Beteili-
             Eschentriebsterbens ist Cryptosoma corticale ein soge- in  einem  Forschungsprojekt  untersucht.  Latschen-            Schwerpunktthema Seuchen  gung 15 deutscher Nationalparks tätig und wurde jüngst mit dem Forschungspreis der Bayerischen National-
             nannter Sekundärerreger. Er kann vermutlich mehrere  kiefern sind unabdingbare Bäume der Bergwälder, sie                       parke ausgezeichnet.
             Jahre ohne Symptome im Holz überdauern. Erst, wenn  gelten als die „Herrscherinnen der Baumgrenze“. Den
             sein Wirt in Folge trocken-heißer Sommer geschwächt  Lecacnosticta acicola beherrschen sie nicht – um ihn zu                                                                   Festmahl – Geieranflug am Wildunfall-
             ist, bildet er im Holzkörper seine Hyphen aus – zum  bändigen, fehlte ihnen bisher die Zeit.                                           ährend  sich  der  Prozessschutzge-     rehkadaver im Nationalpark Eifel
             Beispiel, weil der Wassergehalt in der äußeren Stamm-                                                                                  danke, also das Aufrechterhalten
             region, dem Splintholz, abnimmt. Erreichen diese die                                                                           Wnatürlicher Prozesse, bei Totholz
             Rindenbereiche werden flächig dunkelbraune Sporen-                                                                             etabliert hat, bleibt das Belassen von Tier-
             lager gebildet, die Rinde platzt auf und die Sporen wer-  Braunfleckenkrankheit – Die Nadeln der mit                           kadavern in der Landschaft oft umstritten.
              den freigesetzt. Der Baum stirbt ab.                   dem Pilz Lecacnosticta acicola befallenen Bäume                        Tote tierische Biomasse wird meist entfernt,
             Anders als Viren und Bakterien sind Pilze als Schader-  verfärben sich braun.                                                  obwohl Aas die nährstoffreichste Form orga-
             reger mitteleuropäischer Bäume vergleichsweise gut                                                                             nischer Materie und ein Hotspot biologischer
             erforscht. Auch beim Ulmensterben im vergangenen                                                                               Vielfalt ist. Von Bakterien über Pilze und In-
             Jahrhundert spielt ein Pilz eine entscheidende Rolle:                                                                          sekten bis hin zu großen Beutegreifern wie
             Ophiostoma ulmi, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts                                                                            dem Luchs (Lynx lynx) profitieren zahlreiche
             aus Ostasien eingeschleppt wurde und zunächst gro-                                                                             Organismen davon. In 15 deutschen Natio-
             ße Schäden in den Niederlanden anrichtete. Verbrei-                                                                            nalparks von den Alpen bis zum Wattenmeer   Wildtierkadaver als Biodiversitäts-
             tet wird er vor allem durch Ulmensplintkäfer (Scolytus                                                                         werden daher erstmalig im Rahmen eines   und Nährstoffhotspots
             spec.), der die Pilzsporen von Baum zu Baum trägt. In                                                                          vom Bundesamt für Naturschutz geförder-  Aas ist ein essenzieller Bestandteil des Ökosystems.
              den Bergwäldern und in Mooren in der Voralpenregion                                                                           ten fünfjährigen (2022 – 2027) Projekts Wild-  Innerhalb kurzer Zeit entwickeln sich Wildtierkada-
             bereitet aktuell der aus Mittel- und Nordamerika stam-                                                                         tierkadaver gezielt ausgelegt, um die soge-  ver zu Hotspots biologischer Vielfalt, die eine Vielzahl
             mende Pilz  Lecacnosticta  acicola den Waldschützern                                                                           nannte Verwerterdiversität zu erfassen. Mit  von Organismen anziehen. Im Nationalpark Bayeri-
             Sorge. Er befällt Nadelbäume: Bei Bergkiefern (Pinus                                                                           Kamerafallen, Bodenfallen und mikrobiellen  scher Wald wurden 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten,
             mugo) verursacht er eine intensive Nadelbräune und                                                                             Analysen werden große Aasfresser, Insekten,  97 Zweiflüglerarten sowie 1.820 Bakterien*- und 3.726
             führt zum langsamen Rücksterben der Bäume. Vor 25                                                                              Pilze und Bakterien untersucht. Optimale Be-  Pilzarten* (*Amplikon-Sequenzvarianten, ASVs) an
             Jahren wurde er zum ersten Mal in Bayern nachgewie-                                                                            dingungen für Aasverfügbarkeit gilt es zu er-  Kadavern nachgewiesen. Diese Zahlen verdeutlichen
             sen – vor kurzem auch im Nationalpark Berchtesgaden.                                                                           mitteln, um Managementempfehlungen für  die zentrale Bedeutung von Kadavern für die Arten-
             Welche genauen Bedingungen dazu führen, dass diese                                                                             die unterschiedlichen Lebensraumtypen der  vielfalt. Tote tierische Biomasse bietet zudem einzig-
             Krankheit sich aktuell so stark ausbreitet, wird derzeit                                                                       15 Großschutzgebiete zu entwickeln.      artige Nährstoffeinträge. Ein 30 Kilogramm schwerer



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