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Schwerpunktthema Seuchen
Zersetzt – Ende Juli 2024 wurde im Nationalpark Šumava ein
Kadaver liefert vier Kilogramm Stickstoff pro Quadrat- toter Wisentbulle aus dem Tiergarten ausgelegt. Bereits nach Weitere C. albiceps-Individuen wurden bisher im Laufe
meter Boden – soviel wie 100 Jahre landwirtschaftli- wenigen Wochen waren nur noch Haut und Knochen übrig. des Projekts in den Nationalparks Bayerischer Wald,
che Düngung. Jüngste Bodenuntersuchungen unter Eifel, Schwarzwald und Berchtesgaden nachgewiesen.
Bison- (Bison bison) und Wapitikadavern (Cervus cana- Aufgrund der gewinnbringenden Untersuchungen
densis) im Yellowstone Nationalpark in den USA zeigen geht das Forschungsprojekt nun auf bayerischer Sei-
neben dieser erhöhten Nährstoffkonzentration in der Insektenkundliche Erfolge in deutschen te weiter: Im Dezember 2024 wurde ein toter Wisent
Vegetation auch eine erhöhte Bodenatmung. Zudem Nationalparks aus Nürnberg im Nationalpark Bayerischer Wald aus-
konnten in kadaverbeeinflussten Böden von den Kon- Im Nationalpark Hainich konnte an einem Dachskada- gelegt. Die kalte Jahreszeit ist dabei für die Forscher-
trollflächen abweichende Artgemeinschaftsmuster an ver (Meles meles) in fortgeschrittener Verwesung der teams gerade hinsichtlich der großen Aasfresser wie
Bakterien und Pilzen festgestellt werden. Diese bo- sehr seltene Totengräber Nicrophorus sepultor (Coleop- Luchs, Seeadler (Haliaeetus albicilla) oder Wolf (Canis
denverbessernden Effekte treten jedoch nur ein, wenn tera: Silphinae) entdeckt und dort als Erstnachweis lupus) von besonderem Interesse.
Kadaver im Ökosystem verbleiben dürfen. geführt werden. Im Nationalpark Kellerwald-Edersee
gelang der Erstnachweis des abgeflachten Aas-Glanz-
Ein plötzlicher Geiereinfall – Der ökologische Wert käfers Omosita depressa (Coleoptera: Nitidulidae). Im
von Aas Nationalpark Harz konnte der Kurzflügelkäfer Philont- FAZIT
Ein bemerkenswerter Vorfall ereignete sich 2023 im hus debilis (Coleoptera: Staphylinidae) als Erstnachweis
Nationalpark Eifel, als ein Schwarm von 21 Gänse- mit einem Wiederfund nach über 100 Jahren an der to- Die bewusste Nutzung von Kadavern als Ressource
geiern (Gyps fulvus) an einem einzigen Rehkadaver ten tierischen Biomasse entdeckt werden. bietet wertvolle Erkenntnisse für Ökologie, Arten- und
(Capreolus capreolus) auftauchte. Diese „Rückkehrer“, Naturschutz. Ein konkretes Ziel sollte der dauerhaf-
die seit rund 150 Jahren als Brutvogel in Deutschland Der Wisentkadaver im Šumava-Nationalpark te Erhalt der natürlichen Dynamik und Diversität am
ausgestorben sind, verdeutlichen die Bedeutung von Ein herausragendes Beispiel wissenschaftlicher inter- toten Tier sein. Dies mit der gesamten Aasverwert-
Wildtierkadavern als Lebensgrundlage für Aasfresser. nationaler Forschungskooperation ist die Beteiligung ergilde als fester Bestandteil des Prozessschutzes in
Geier, die Krankheitserreger wie z. B. das Virus der des Tiergartens Nürnberg an einem Forschungs- Nationalparks, Wildnisgebieten und Kernzonen der
Afrikanischen Schweinepest (ASP) durch ihre saure projekt der Universität Würzburg im tschechischen Biosphärenreservate. Denn tote Tiere sind weit mehr
Magenumgebung unschädlich machen, spielen eine Šumava-Nationalpark. Ende Juli 2024 wurde dort ein als unansehnliche Biomasse – sie sind unverzichtbare
wichtige Rolle in der Seuchenregulierung. Die kadaver- im Tiergarten getöteter Wisentbulle (Bison bonasus) Bestandteile funktionierender Ökosysteme.
ökologische Forschung zeigte zudem, dass das ASP-Vi- ausgelegt und wissenschaftlich beprobt. Dabei konn-
rus in Schmeißfliegenmaden inaktiviert vorliegt. Die te die Schmeißfliege Chrysomya albiceps (Diptera: Quellen
Larven der Schmeißfliegen beseitigen einen Kadaver Calliphoridae) erstmals im Šumava-Nationalpark ent- Forth J. H., Amendt J., Blome S., Depner K., Kampen H. (2018) Evaluation of blowfly larvae (Diptera: Calliphoridae) as possible reservoirs and mechanical
in den Sommermonaten innerhalb kürzester Zeit mit deckt werden – ein bedeutender Beleg in der insekten- vectors of African swine fever virus, Transboundary and Emerging Diseases 65: e210 – e213
höchster Effizienz. Diese Erkenntnisse unterstreichen kundlichen Forschung. Diese Art, die ursprünglich in Klamm A., Weigel A., Flatau N., Sommer D., von Hoermann C. (2025) Erstnachweis von Nicrophorus sepultor Charpentier, 1825 (Insecta: Coleoptera:
die Bedeutung intakter Ökosysteme auch für die den Afro- und Neotropen beheimatet ist, breitet sich Silphidae) für den Nationalpark Hainich mit Anmerkungen zur Bedeutung von Wildtierkadavern in der Landschaft, Thüringer Faunistische Abhandlun-
menschliche Gesundheit. in Mitteleuropa zunehmend aus. Ihre Larven fressen gen, in press
im zweiten und dritten Larval- Risch A. C., Frossard A., Schütz M., Frey B., Morris A. W., Bump J. K. (2020) Effects of elk and bison carcasses on soil microbial communities and ecosystem
stadium andere Schmeißfliegen- functions in Yellowstone, USA, Functional Ecology 34: 1933 – 1944
larven. Ihr Vorkommen auf 930 von Hoermann C., Benbow M. E., Rottler-Hoermann A. M., Lackner T., Sommer D., Receveur J. P. et al. (2023) Factors influencing carrion communities are
Metern über dem Meeresspiegel only partially consistent with those of deadwood necromass, Oecologia 201: 537 – 547
am Wisentkadaver ist von öko- von Hoermann C., Klamm A., Schlüter J. (2023) Die ökologische Bedeutung von Wildtierkadavern, ÖKOJAGD Magazin 4: 30 – 36
logischer Bedeutung. Denn die
Anwesenheit der räuberischen
Maden kann einen Einfluss auf Glossar
die Gemeinschaftsstruktur der Amplikon-Sequenzvariante (ASV): Genetische Sequenz, die natürliche Variationen in
Schmeißfliegen am Wildtierka- einer Population oder einem Umweltmuster widerspiegelt und dabei präzise zwischen
daver haben. Nachdem die inva- verschiedenen Mikroorganismen (Bakterien und Pilze) unterscheiden kann
siven Arten oft keinen vergleich- Afro- und Neotropen: Großgeografische Regionen der Erde, die tropische Lebensräume
baren Prädationsdruck erfahren, umfassen. Die Afrotropen liegen in Afrika südlich der Sahara, während sich die Neotro-
könnte dies das Artengefüge der pen über Mittel- und Südamerika sowie die Karibik erstrecken
hier heimischen Schmeißfliegen-
arten längerfristig beeinflussen.
Übersäht – Aas- und Dungkäfer Madenjagd – Der Schwarzhörnige Totengräber (Nicrophorus
am Ohr eines Fuchskadavers im vespilloides) und die Rothalsige Silphe (Oiceoptoma thoracicum)
Nationalpark Bayerischer Wald. stammen aus der Familie der Aaskäfer (Silphidae).
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