Page 37 - manatimagazin_seuchen_25_01
P. 37

Schwerpunktthema Seuchen


 Zersetzt – Ende Juli 2024 wurde im Nationalpark Šumava ein
 Kadaver liefert vier Kilogramm Stickstoff pro Quadrat-  toter Wisentbulle aus dem Tiergarten ausgelegt. Bereits nach   Weitere C. albiceps-Individuen wurden bisher im Laufe
 meter Boden – soviel wie 100 Jahre landwirtschaftli-  wenigen Wochen waren nur noch Haut und Knochen übrig.  des Projekts in den Nationalparks Bayerischer Wald,
 che Düngung. Jüngste Bodenuntersuchungen unter               Eifel, Schwarzwald und Berchtesgaden nachgewiesen.
 Bison- (Bison bison) und Wapitikadavern (Cervus cana-        Aufgrund der gewinnbringenden Untersuchungen
 densis) im Yellowstone Nationalpark in den USA zeigen        geht das Forschungsprojekt nun auf bayerischer Sei-
 neben dieser erhöhten Nährstoffkonzentration in der   Insektenkundliche Erfolge in deutschen   te weiter: Im Dezember 2024 wurde ein toter Wisent
 Vegetation auch eine erhöhte Bodenatmung. Zudem   Nationalparks   aus Nürnberg im Nationalpark Bayerischer Wald aus-
 konnten in kadaverbeeinflussten Böden von den Kon-  Im Nationalpark Hainich konnte an einem Dachskada-  gelegt. Die kalte Jahreszeit ist dabei für die Forscher-
 trollflächen abweichende Artgemeinschaftsmuster an  ver (Meles meles) in fortgeschrittener Verwesung der   teams gerade hinsichtlich der großen Aasfresser wie
 Bakterien und Pilzen festgestellt werden. Diese bo-  sehr seltene Totengräber Nicrophorus sepultor (Coleop-  Luchs, Seeadler (Haliaeetus albicilla) oder Wolf (Canis
 denverbessernden Effekte treten jedoch nur ein, wenn  tera: Silphinae) entdeckt und dort als Erstnachweis   lupus) von besonderem Interesse.
 Kadaver im Ökosystem verbleiben dürfen.  geführt werden. Im Nationalpark  Kellerwald-Edersee
 gelang der Erstnachweis des abgeflachten Aas-Glanz-
 Ein plötzlicher Geiereinfall – Der ökologische Wert   käfers Omosita depressa (Coleoptera: Nitidulidae). Im
 von Aas   Nationalpark Harz konnte der Kurzflügelkäfer Philont-  FAZIT
 Ein  bemerkenswerter  Vorfall  ereignete  sich  2023  im  hus debilis (Coleoptera: Staphylinidae) als Erstnachweis
 Nationalpark Eifel, als ein Schwarm von 21 Gänse-  mit einem Wiederfund nach über 100 Jahren an der to-  Die bewusste Nutzung von Kadavern als Ressource
 geiern (Gyps fulvus) an einem einzigen Rehkadaver  ten tierischen Biomasse entdeckt werden.  bietet wertvolle Erkenntnisse für Ökologie, Arten- und
 (Capreolus capreolus) auftauchte. Diese „Rückkehrer“,        Naturschutz. Ein konkretes Ziel sollte der dauerhaf-
 die seit rund 150 Jahren als Brutvogel in Deutschland   Der Wisentkadaver im Šumava-Nationalpark   te Erhalt der natürlichen Dynamik und Diversität am
 ausgestorben sind, verdeutlichen die Bedeutung von  Ein herausragendes Beispiel wissenschaftlicher inter-  toten Tier sein. Dies mit der gesamten Aasverwert-
 Wildtierkadavern als Lebensgrundlage für Aasfresser.  nationaler Forschungskooperation ist die Beteiligung   ergilde als fester Bestandteil des Prozessschutzes in
 Geier, die Krankheitserreger wie z. B. das Virus der  des Tiergartens Nürnberg an einem Forschungs-  Nationalparks, Wildnisgebieten und Kernzonen der
 Afrikanischen Schweinepest (ASP) durch ihre saure  projekt der Universität Würzburg im tschechischen   Biosphärenreservate. Denn tote Tiere sind weit mehr
 Magenumgebung unschädlich machen, spielen eine  Šumava-Nationalpark. Ende Juli 2024 wurde dort ein   als unansehnliche Biomasse – sie sind unverzichtbare
 wichtige Rolle in der Seuchenregulierung. Die kadaver-  im Tiergarten getöteter Wisentbulle (Bison bonasus)   Bestandteile funktionierender Ökosysteme.
 ökologische Forschung zeigte zudem, dass das ASP-Vi-  ausgelegt und wissenschaftlich beprobt. Dabei konn-
 rus in Schmeißfliegenmaden inaktiviert vorliegt. Die  te die Schmeißfliege  Chrysomya albiceps (Diptera:   Quellen
 Larven der Schmeißfliegen beseitigen einen Kadaver  Calliphoridae) erstmals im Šumava-Nationalpark ent-  Forth J. H., Amendt J., Blome S., Depner K., Kampen H. (2018) Evaluation of blowfly larvae (Diptera: Calliphoridae) as possible reservoirs and mechanical
 in den Sommermonaten innerhalb kürzester Zeit mit  deckt werden – ein bedeutender Beleg in der insekten-  vectors of African swine fever virus, Transboundary and Emerging Diseases 65: e210 – e213
 höchster Effizienz. Diese Erkenntnisse unterstreichen  kundlichen Forschung. Diese Art, die ursprünglich in   Klamm A., Weigel A., Flatau N., Sommer D., von Hoermann C. (2025) Erstnachweis von Nicrophorus sepultor Charpentier, 1825 (Insecta: Coleoptera:
 die  Bedeutung  intakter  Ökosysteme  auch  für  die  den Afro- und Neotropen beheimatet ist, breitet sich   Silphidae) für den Nationalpark Hainich mit Anmerkungen zur Bedeutung von Wildtierkadavern in der Landschaft, Thüringer Faunistische Abhandlun-
 menschliche Gesundheit.  in Mitteleuropa zunehmend aus. Ihre Larven fressen   gen, in press
 im zweiten und dritten Larval-  Risch A. C., Frossard A., Schütz M., Frey B., Morris A. W., Bump J. K. (2020) Effects of elk and bison carcasses on soil microbial communities and ecosystem
 stadium andere Schmeißfliegen-  functions in Yellowstone, USA, Functional Ecology 34: 1933 – 1944
 larven. Ihr Vorkommen auf 930   von Hoermann C., Benbow M. E., Rottler-Hoermann A. M., Lackner T., Sommer D., Receveur J. P. et al. (2023) Factors influencing carrion communities are
 Metern über dem Meeresspiegel   only partially consistent with those of deadwood necromass, Oecologia 201: 537 – 547
 am Wisentkadaver ist von öko-  von Hoermann C., Klamm A., Schlüter J. (2023) Die ökologische Bedeutung von Wildtierkadavern, ÖKOJAGD Magazin 4: 30 – 36
 logischer Bedeutung. Denn die
 Anwesenheit der räuberischen
 Maden  kann  einen  Einfluss  auf   Glossar
 die Gemeinschaftsstruktur der   Amplikon-Sequenzvariante (ASV): Genetische Sequenz, die natürliche Variationen in
 Schmeißfliegen am Wildtierka-  einer Population oder einem Umweltmuster widerspiegelt und dabei präzise zwischen
 daver haben. Nachdem die inva-  verschiedenen Mikroorganismen (Bakterien und Pilze) unterscheiden kann
 siven Arten oft keinen vergleich-  Afro- und Neotropen: Großgeografische Regionen der Erde, die tropische Lebensräume
 baren Prädationsdruck erfahren,   umfassen. Die Afrotropen liegen in Afrika südlich der Sahara, während sich die Neotro-
 könnte dies das Artengefüge der   pen über Mittel- und Südamerika sowie die Karibik erstrecken
 hier heimischen Schmeißfliegen-
 arten längerfristig beeinflussen.




 Übersäht – Aas- und Dungkäfer   Madenjagd – Der Schwarzhörnige Totengräber (Nicrophorus
 am Ohr eines Fuchskadavers im   vespilloides) und die Rothalsige Silphe (Oiceoptoma thoracicum)
 Nationalpark Bayerischer Wald.  stammen aus der Familie der Aaskäfer (Silphidae).


 36                                                         37
   32   33   34   35   36   37   38   39   40   41   42