Page 35 - manatimagazin_seuchen_25_01
P. 35

manatimagazin 25|01


                     FÜR EIN VIELFÄLTIGES UND
                     GESUNDES ÖKOSYSTEM:

                     WERTVOLLE



 Chancenlos – Junge Eschen
 sterben zügig ab, wenn sie
 mit dem „Falschen Weißen   TIERKADAVER
 Stengelbecherchen“
 in Berührung kommen.


                     Wildtierkadaver sind wahre Hotspots der Biodiversität, die wichtige Einblicke in ökolo-
                     gische Prozesse ermöglichen. Indem Kadaver nicht nur als Entsorgungsproblem
                     betrachtet, sondern als Schlüssel zur Erforschung natürlicher Prozesse genutzt werden,
                     kann ein bedeutender Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität geleistet werden. Kadaver-
                     verwerter wie Geier können wiederum bei der Eindämmung von Seuchen eine entschei-
                     dende Rolle spielen. Der Tiergarten Nürnberg unterstützt Projekte zur Kadaverökologie,
                     etwa durch die Bereitstellung toter Wisente für die Nationalparks Šumava und Bayeri-
                     scher Wald.

                     Dr. Christian von Hoermann, Biologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Würzburg, arbeitet und
                     forscht seit 2009 auf dem Gebiet der forensischen Chemoökologie und der Kadaverökologie. Seit Oktober 2022
                     ist er als Projektkoordinator im Kadaverökologieprojekt des Bundesamts für Naturschutz (BfN) unter Beteili-
 Eschentriebsterbens ist Cryptosoma corticale ein soge- in  einem  Forschungsprojekt  untersucht.  Latschen-  Schwerpunktthema Seuchen  gung 15 deutscher Nationalparks tätig und wurde jüngst mit dem Forschungspreis der Bayerischen National-
 nannter Sekundärerreger. Er kann vermutlich mehrere  kiefern sind unabdingbare Bäume der Bergwälder, sie   parke ausgezeichnet.
 Jahre ohne Symptome im Holz überdauern. Erst, wenn  gelten als die „Herrscherinnen der Baumgrenze“. Den
 sein Wirt in Folge trocken-heißer Sommer geschwächt  Lecacnosticta acicola beherrschen sie nicht – um ihn zu   Festmahl – Geieranflug am Wildunfall-
 ist, bildet er im Holzkörper seine Hyphen aus – zum  bändigen, fehlte ihnen bisher die Zeit.  ährend  sich  der  Prozessschutzge-  rehkadaver im Nationalpark Eifel
 Beispiel, weil der Wassergehalt in der äußeren Stamm-  danke, also das Aufrechterhalten
 region, dem Splintholz, abnimmt. Erreichen diese die   Wnatürlicher Prozesse, bei Totholz
 Rindenbereiche werden flächig dunkelbraune Sporen-  etabliert hat, bleibt das Belassen von Tier-
 lager gebildet, die Rinde platzt auf und die Sporen wer-  Braunfleckenkrankheit – Die Nadeln der mit    kadavern in der Landschaft oft umstritten.
 den freigesetzt. Der Baum stirbt ab.  dem Pilz Lecacnosticta acicola befallenen Bäume   Tote tierische Biomasse wird meist entfernt,
 Anders als Viren und Bakterien sind Pilze als Schader-  verfärben sich braun.  obwohl Aas die nährstoffreichste Form orga-
 reger mitteleuropäischer Bäume vergleichsweise gut   nischer Materie und ein Hotspot biologischer
 erforscht. Auch beim Ulmensterben im vergangenen   Vielfalt ist. Von Bakterien über Pilze und In-
 Jahrhundert spielt ein Pilz eine entscheidende Rolle:   sekten bis hin zu großen Beutegreifern wie
 Ophiostoma ulmi, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts   dem Luchs (Lynx lynx) profitieren zahlreiche
 aus Ostasien eingeschleppt wurde und zunächst gro-  Organismen davon. In 15 deutschen Natio-
 ße Schäden in den Niederlanden anrichtete. Verbrei-  nalparks von den Alpen bis zum Wattenmeer   Wildtierkadaver als Biodiversitäts-
 tet wird er vor allem durch Ulmensplintkäfer (Scolytus   werden daher erstmalig im Rahmen eines   und Nährstoffhotspots
 spec.), der die Pilzsporen von Baum zu Baum trägt. In   vom Bundesamt für Naturschutz geförder-  Aas ist ein essenzieller Bestandteil des Ökosystems.
 den Bergwäldern und in Mooren in der Voralpenregion   ten fünfjährigen (2022 – 2027) Projekts Wild-  Innerhalb kurzer Zeit entwickeln sich Wildtierkada-
 bereitet aktuell der aus Mittel- und Nordamerika stam-  tierkadaver gezielt ausgelegt, um die soge-  ver zu Hotspots biologischer Vielfalt, die eine Vielzahl
 mende Pilz  Lecacnosticta  acicola den Waldschützern   nannte Verwerterdiversität zu erfassen. Mit  von Organismen anziehen. Im Nationalpark Bayeri-
 Sorge. Er befällt Nadelbäume: Bei Bergkiefern (Pinus   Kamerafallen, Bodenfallen und mikrobiellen  scher Wald wurden 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten,
 mugo) verursacht er eine intensive Nadelbräune und   Analysen werden große Aasfresser, Insekten,  97 Zweiflüglerarten sowie 1.820 Bakterien*- und 3.726
 führt zum langsamen Rücksterben der Bäume. Vor 25   Pilze und Bakterien untersucht. Optimale Be-  Pilzarten* (*Amplikon-Sequenzvarianten, ASVs) an
 Jahren wurde er zum ersten Mal in Bayern nachgewie-  dingungen für Aasverfügbarkeit gilt es zu er-  Kadavern nachgewiesen. Diese Zahlen verdeutlichen
 sen – vor kurzem auch im Nationalpark Berchtesgaden.   mitteln, um Managementempfehlungen für  die zentrale Bedeutung von Kadavern für die Arten-
 Welche genauen Bedingungen dazu führen, dass diese   die unterschiedlichen Lebensraumtypen der  vielfalt. Tote tierische Biomasse bietet zudem einzig-
 Krankheit sich aktuell so stark ausbreitet, wird derzeit   15 Großschutzgebiete zu entwickeln.  artige Nährstoffeinträge. Ein 30 Kilogramm schwerer



 34                                                         35
   30   31   32   33   34   35   36   37   38   39   40