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Schwerpunktthema Auswilderung




                             Ortswechsel: Das Virunga-Massiv ist eine Schutzinsel von 400 Quadratkilometern für eine
                             von zwei verbleibenden Berggorilla-Populationen (Gorilla beringei beringei) inmitten der am
                             dichtesten besiedelten Gebiete Afrikas. Mit Uganda, der Demokratischen Republik Kongo und
                             Ruanda teilen sich drei Länder diesen Ort, der Ugandische Bereich ist Teil des Virunga-National-
                             parks. Er gilt als einer der artenreichsten weltweit und als der einzige, in dem drei Menschenaf-
                             fenarten leben. Er steht auf der Liste der bedrohten Welterbe der UNESCO. Armut, Hunger, Kriege,
                             und die ungebrochene Nachfrage nach Rohstoffen gefährden die fragile Sicherheit von Flora und
                             Fauna. Kurzum: Für die Gorillas gibt es keinen Weg hinaus. In dem begrenzten Gebiet nehmen die
                             Konflikte zwischen ihnen zu, wie eine Studie (Caillet et al. 2020) herausgefunden hat, für die Daten
                             über die Berggorilla-Population am Virunga-Massiv aus 50 Jahren ausgewertet wurden. In den
                             Jahren 2000 bis 2017 haben sich die rund 400 Tiere in mehr Gruppen aufgeteilt. Jedes Aufeinander-
                             treffen von Gruppen birgt Konfliktpotenzial und endet häufig für Männchen tödlich - ebenso für
                             Jungtiere. Über die Hälfte des Bestandsrückganges der Berggorillas am Virunga-Massiv führen die
                                                  Forscherinnen in dem Zeitraum darauf zurück, dass Gorillamännchen
                                                  die Jungtiere anderer Gruppen töten.

                                                  Die Liste der Beispiele könnte noch weitergeführt werden, etwa mit der
                                                  Überpopulation von Elefanten in verschiedenen Nationalparks, doch
                                                  auch hier ist der Platz begrenzt. „Schutzgebiete allein reichen nicht, um
                                                  die Natur zu retten“ – zu diesem Schluss kommen der Biologe Lothar
                                                  Frenz und der Sozial- und Humanökologe Raffael Hickisch in einem ge-
                                                  meinsamen Essay 2022. Wir sollten uns durch die großartigen Ergeb-
                                                  nisse für die Artenvielfalt in isolierten Inseln, die viele Schutzgebiete
                                                  darstellen, nicht täuschen lassen. Vielmehr sollten wir uns fragen, was
                                                  wir im Naturschutz erreichen wollen. Denn „letztlich geht es um die
                                                  Funktionstüchtigkeit unseres Planeten, damit wir als Spezies überle-
                                                  ben“, wie die beiden schreiben.

                             Die Frage nach dem Ziel stellten sich Naturschützer aus zahlreichen Ländern auch auf der Ers-
        Konfliktpotenzial Die   ten Nationalpark-Weltkonferenz (First World Conference on National Parks), zu der die Weltnatur-
        letzten Berggorillas   schutzunion IUCN mit Unterstützung der UNESCO, der FAO (Food and Agriculture Organization)
        stehen vor der Heraus-  und vielen weiteren im Jahr 1962 geladen hatte. Auch die Regulation von Populationen war damals
        forderung, auf einem   schon ein Thema im Abschlusspapier:
        begrenzten Gebiet
        friedlich zusammen-  „Wo Tierpopulationen mit ihrem Lebensraum aus dem Gleichgewicht geraten und das natürliche
        zuleben.             Fortbestehen der gewünschten Umwelt bedrohen, wird die Kontrolle der Populationen essenziell“,
                             heißt es dort. „Das trifft zum Beispiel dann zu, wenn Huftierpopulationen wegen des Verlustes an
                             Beutegreifern, der Immigration aus umliegenden Gebieten oder mangelnder Wandermöglichkei-
                             ten die Kapazitäten ihres Lebensraumes überreizen. Konkrete Beispiele sind Überpopulationen
                             von Elefanten in manchen afrikanischen Parks oder Huftiere in manchen Gebirgsparks.“


                             Über sechzig Jahre später stehen wir mit drastisch erhöhter Dringlichkeit vor den gleichen Fragen
                             und Herausforderungen – übrigens in Schutzgebieten ebenso wie in Zoos. Gemeinsame Antwor-
                             ten darauf sollten wir dringend finden. Damit unsere Artenschutzarbeit dauerhaft Sinn macht.
                             Weil wir genug sicheren Raum brauchen für die Tiere, die wir auswildern wollen.


                             Referenzen
                             Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf: „Wolfsterritorien in Deutschland“, https://www.dbb-wolf.
                              de/Wolfsvorkommen/territorien/liste-nach-bundesland
                             Bundesamt für Naturschutz: „Häufig gefragt: Wolf“, https://www.bfn.de/haeufig-gefragt-wolf#anchor-8721
                             Caillaud, D.; Eckart, W.; Vecellio, V.; Ndagijimana, F.; Mucyó, J.; Hirwa, J. & Stoinski, T. (2020): „Violent encounters between social
                              units hinder the growth of a high-density mountain gorilla population“; Violent encounters between social units hinder the
                              growth of a high-density mountain gorilla population | Science Advances
                             Frenz, L. & Hickisch, R. (2022): „Schutzgebiete: Wie sinnvoll sind sie wirklich? Eine kritische Betrachtung.“



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