Page 30 - Manatimagazin 23/02
P. 30
Schwerpunktthema Auswilderung
Ortswechsel: Das Virunga-Massiv ist eine Schutzinsel von 400 Quadratkilometern für eine
von zwei verbleibenden Berggorilla-Populationen (Gorilla beringei beringei) inmitten der am
dichtesten besiedelten Gebiete Afrikas. Mit Uganda, der Demokratischen Republik Kongo und
Ruanda teilen sich drei Länder diesen Ort, der Ugandische Bereich ist Teil des Virunga-National-
parks. Er gilt als einer der artenreichsten weltweit und als der einzige, in dem drei Menschenaf-
fenarten leben. Er steht auf der Liste der bedrohten Welterbe der UNESCO. Armut, Hunger, Kriege,
und die ungebrochene Nachfrage nach Rohstoffen gefährden die fragile Sicherheit von Flora und
Fauna. Kurzum: Für die Gorillas gibt es keinen Weg hinaus. In dem begrenzten Gebiet nehmen die
Konflikte zwischen ihnen zu, wie eine Studie (Caillet et al. 2020) herausgefunden hat, für die Daten
über die Berggorilla-Population am Virunga-Massiv aus 50 Jahren ausgewertet wurden. In den
Jahren 2000 bis 2017 haben sich die rund 400 Tiere in mehr Gruppen aufgeteilt. Jedes Aufeinander-
treffen von Gruppen birgt Konfliktpotenzial und endet häufig für Männchen tödlich - ebenso für
Jungtiere. Über die Hälfte des Bestandsrückganges der Berggorillas am Virunga-Massiv führen die
Forscherinnen in dem Zeitraum darauf zurück, dass Gorillamännchen
die Jungtiere anderer Gruppen töten.
Die Liste der Beispiele könnte noch weitergeführt werden, etwa mit der
Überpopulation von Elefanten in verschiedenen Nationalparks, doch
auch hier ist der Platz begrenzt. „Schutzgebiete allein reichen nicht, um
die Natur zu retten“ – zu diesem Schluss kommen der Biologe Lothar
Frenz und der Sozial- und Humanökologe Raffael Hickisch in einem ge-
meinsamen Essay 2022. Wir sollten uns durch die großartigen Ergeb-
nisse für die Artenvielfalt in isolierten Inseln, die viele Schutzgebiete
darstellen, nicht täuschen lassen. Vielmehr sollten wir uns fragen, was
wir im Naturschutz erreichen wollen. Denn „letztlich geht es um die
Funktionstüchtigkeit unseres Planeten, damit wir als Spezies überle-
ben“, wie die beiden schreiben.
Die Frage nach dem Ziel stellten sich Naturschützer aus zahlreichen Ländern auch auf der Ers-
Konfliktpotenzial Die ten Nationalpark-Weltkonferenz (First World Conference on National Parks), zu der die Weltnatur-
letzten Berggorillas schutzunion IUCN mit Unterstützung der UNESCO, der FAO (Food and Agriculture Organization)
stehen vor der Heraus- und vielen weiteren im Jahr 1962 geladen hatte. Auch die Regulation von Populationen war damals
forderung, auf einem schon ein Thema im Abschlusspapier:
begrenzten Gebiet
friedlich zusammen- „Wo Tierpopulationen mit ihrem Lebensraum aus dem Gleichgewicht geraten und das natürliche
zuleben. Fortbestehen der gewünschten Umwelt bedrohen, wird die Kontrolle der Populationen essenziell“,
heißt es dort. „Das trifft zum Beispiel dann zu, wenn Huftierpopulationen wegen des Verlustes an
Beutegreifern, der Immigration aus umliegenden Gebieten oder mangelnder Wandermöglichkei-
ten die Kapazitäten ihres Lebensraumes überreizen. Konkrete Beispiele sind Überpopulationen
von Elefanten in manchen afrikanischen Parks oder Huftiere in manchen Gebirgsparks.“
Über sechzig Jahre später stehen wir mit drastisch erhöhter Dringlichkeit vor den gleichen Fragen
und Herausforderungen – übrigens in Schutzgebieten ebenso wie in Zoos. Gemeinsame Antwor-
ten darauf sollten wir dringend finden. Damit unsere Artenschutzarbeit dauerhaft Sinn macht.
Weil wir genug sicheren Raum brauchen für die Tiere, die wir auswildern wollen.
Referenzen
Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf: „Wolfsterritorien in Deutschland“, https://www.dbb-wolf.
de/Wolfsvorkommen/territorien/liste-nach-bundesland
Bundesamt für Naturschutz: „Häufig gefragt: Wolf“, https://www.bfn.de/haeufig-gefragt-wolf#anchor-8721
Caillaud, D.; Eckart, W.; Vecellio, V.; Ndagijimana, F.; Mucyó, J.; Hirwa, J. & Stoinski, T. (2020): „Violent encounters between social
units hinder the growth of a high-density mountain gorilla population“; Violent encounters between social units hinder the
growth of a high-density mountain gorilla population | Science Advances
Frenz, L. & Hickisch, R. (2022): „Schutzgebiete: Wie sinnvoll sind sie wirklich? Eine kritische Betrachtung.“
30