Page 32 - Manatimagazin 23/02
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Schwerpunktthema Auswilderung













































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                                                                Tiere über die Baumgrenze bringen, Stein-
                                                                bockauswilderungen gelingen nach wie vor
                                                                nur mit tatkräftigen Partnern.



                     Die Tiere waren schon immer wertvoll, als Trophäe und Nahrungsquelle begehrt. Dies
                     belegt auch die Gletschermumie Ötzi. In ihrem Magen wurden Steinbockfleisch und
                     -fett gefunden. Praktisch allen Körperteilen des Alpensteinbocks wurden besondere
                     Kräfte zugesprochen, wohl selbst dem Kot. Verhängnisvoll. Ein allerletztes Vorkom-
                     men, kaum 100 der Wildziegen, überlebte dort, wo sich heute der Gran Paradiso Na-
                     tionalpark im italienischen Aostatal erstreckt. Hier befand sich das Jagdgebiet von
                     Vittorio Emanuele II., dem König von Sardinien- Piemont.

                     Exklusivität weckt Begehrlichkeiten, auch beim Steinbock. Doch der italienische Mo-
                     narch dachte nicht daran, die Tiere mit anderen zu teilen: Deswegen wachten Wild-
                     hüter über seine Statussymbole. So kam es zum eingangs zitierten Brief. Er stammt
                     aus der Feder des Wilderers Joseph Berard. Adressiert war er an Robert Marder, einen
                     Steinbockenthusiasten. 1906 lieferte Berard die ersten drei Kitze, einen Bock und
                     zwei Geißen. Sie wurden von Marder in den Wildpark Peter und Paul in St. Gallen
                     transportiert und mit der Flasche aufgezogen. Bis 1933 folgten weitere 56 gewilderte
                     und geschmuggelte Kitze (Lozza 2022), ein einträgliches Geschäft.

                     Die ersten Tiere wurden bereits 1920 im Schweizerischen Nationalpark ausgewildert.
                     Von da an ging es mit den Steinböcken wieder bergauf, in zweierlei Hinsicht. Einer-
                     seits im wörtlichen Sinne, denn sie leben fast ausschließlich über der Baumgrenze,
                     die in den Alpen bei rund 2000 Metern über dem Meeresspiegel liegt. Andererseits,
                     weil auch Tiere an andere Haltungen abgegeben wurden, wo sie ebenfalls gezüchtet
                     und deren Nachfahren dann wiederrum ausgewildert werden konnten. So kam es



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