Im Tiergarten der Stadt Nürnberg wird mit Spannung die erste Geburt bei den Großen Tümmlern nach der Eröffnung der Lagune erwartet. Nach siebenjähriger Pause ist nun zum ersten Mal wieder ein Delfinweibchen trächtig.
Die 15-jährige Sunny kam im Jahr 2005 nach Nürnberg, wo sie im Jahr 2007 ihr erstes Jungtier zur Welt brachte, um das sie sich zwar vorbildlich kümmerte, das aber nach drei Tagen dennoch verstarb. Es hatte trotz regelmäßigen Saugens kaum Milch aufgenommen. Im September 2011 wurde bei Sunny die „Pille“ abgesetzt. Sie ist nun wieder trächtig, was bei routinemäßigen Ultraschalluntersuchungen festgestellt werden konnte.
Bei höheren Säugetieren ist das soziale Lernen für Geburt und Aufzucht ein wichtiger Baustein für erfolgversprechendes Mutterverhalten. Vor dem Neubau der Außenanlage in Nürnberg mussten gebärende Tümmlerweibchen immer in das speziell für Geburten gebaute zweiteDelfinarium gebracht werden, wodurch zwar Störungen durch andere Delfine zuverlässig verhindert wurden, aber die anderen Gruppenmitglieder die Erfahrungen der Mütter nicht teilen konnten.
Bei Jenny, die sich als unerfahrenes Muttertier gezeigt hatte, wird deshalb die „Pille“ erst dann wieder abgesetzt, wenn sie die Möglichkeit hatte, Sunny zu beobachten, wie diese gebärt und ihr Jungtier versorgt. Bei Anke sieht der Tiergarten vorerst von einem weiteren Zuchtversuch mit ihr aus genetischen Gründen ab.
Während der Bauarbeiten für die Lagune und das Manatihaus im Tiergarten der Stadt Nürnberg vom September 2008 bis August 2011 verblieben von den weiblichen Tümmlern aus sozialen und gesundheitlichen Gründen nur Sunny und Jenny im Tiergarten.
Sie erhielten während der Bauzeit die „Pille“. Eine Trächtigkeit und womöglich eine Geburt während der Bauphase oder direkt in der nachfolgenden Eingewöhnungszeit wurden als zu riskant für die Tiere eingeschätzt. Die anderen weiblichen Tümmler Anke, Naomi und Nynke wurden im September 2008 zu Zuchtzwecken nach Harderwijk gebracht. Daraus hervorgegangen sind bisher drei gesunde Jungtiere von Naomi und Nynke.
Die erst kürzlich aus Duisburg eingetroffenen Weibchen Dolly und Donna haben beide in Duisburg schon Geburten und Aufzuchten miterlebt, so dass sie für ihre ersten Geburten bereits gute Voraussetzungenmitbringen.
In der Lagune sind Delfingeburten in einem zentralen Bereich des Beckenkomplexes vorgesehen, so dass alle Gruppenmitglieder Geburt und Aufzucht von Anfang an miterleben und davon lernen können. Neu ist auch ein sogenannter Hebeboden in einem der für werdende Mütter vorgesehenen Becken, der die Möglichkeit eröffnet, schon in frühem Stadium nach der Geburt das Kalb schonend und ohne Gefahr für Delfin oder Mensch zu untersuchen und bei Bedarf zu behandeln.
Das mit der Lagune neu entstandene Konzept für das Zucht-Management orientiert sich stark an Erfahrungen sehr erfolgreicher Delfinarien, bei denen sich zwei Faktoren als wichtig herausgestellt haben:
- Die Qualität des mütterlichen Verhaltens hängt stark von sozialen Lernerfahrungen ab. Dies gilt für die meisten höheren Säugetiere (zum Beispiel die meisten Affenarten, Elefanten und Menschen).
- Eine gesundheitliche Kontrolle vom ersten Tag an mit entsprechenden Therapiemöglichkeiten hat die Mortalität der Delfinkälber reduziert: Zum Beispiel Blutzuckermessungen geben einen Hinweis, ob das Kalb genug Milch aufgenommen hat und ein Blutbild kann auf Infektionen oder Mangelerscheinungen hinweisen. „Durch dieses neue Management steigt die Überlebens-Wahrscheinlichkeit, wenn auch eine natürliche Mortalität nie zu verhindern sein wird. Dem Tiergarten ist bewusst, dass an dieser ersten Geburt in der Lagune ein großes öffentliches Interesse besteht. Es lastet ein entsprechend großer Druck auf den Mitarbeitern des Tiergartens. Die Direktion des Tiergartens möchte deshalb den wahrscheinlichen
Geburtstermin nicht vorab bekannt geben und bittet dafür um Verständnis“, sagt Tiergartendirektor Dr. Dag Encke.
Die Zucht und Vermehrung Großer Tümmler in den wissenschaftlich geleiteten Delfinarien, die in der EAAM (European Association for Aquatic Mammals) zusammengeschlossen sind, wird in einem Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP) koordiniert. Das Ziel des EEPs ist eine selbsterhaltende Population Großer Tümmler in den Verbands-Delfinarien und die Bewahrung der genetischen Diversität dieser Population über die nächsten 100 Jahre. Seit 2003 greift das EEP nicht mehr auf neue Wildfänge zurück, sondern vergrößert die Population durch seine erfolgreichen Nachzuchten. Der Anteil zoogeborener Tiere liegt heute schon bei zwei Dritteln der Gesamtpopulation. 1991 kam der letzte wild gefangene Delfin aus der Schweiz nach Deutschland. Von den 17 in Deutschland lebenden Großen Tümmlern sind zwölf in den Delfinarien von Duisburg (7), Soltau (2), Nürnberg (1) und Harderwijk/Niederlande (2) geboren und aufgewachsen.
„Wie für alle sozial organisierten Säugetiere und Vögel ist für die GroßenTümmler in gemischtgeschlechtlichen Gruppen die Fortpflanzung mit einer Aufzucht der Jungen im Sozialverband ein essentielles Verhaltensbedürfnis. Die Koordinierungs-Aufgabe des EEPs besteht darin, sowohl die sozialen Bedürfnisse in den Gruppen zu befriedigen als auch die genetische Integrität der Population zu garantieren, zum Beispiel Verhinderung von Inzucht, und darüber hinaus die Anzahl der Tiere auf
die Kapazitäten der Institutionen abzustimmen“, sagt Tiergartendirektor Dr. Dag Encke.