Zuchterfolge bei bedrohten Arten, neue Tierarten und rund 1,1 Millionen Gäste: Der Tiergarten der Stadt Nürnberg blickt insgesamt zufrieden auf ein intensives Jahr 2023 zurück. Die anhaltend hohen Kosten konnte er dank sehr guter Besuchszahlen und der Energiesparmaßnahmen, die auch 2023 fortgeführt wurden, stemmen. Die Einrichtung wird ein für diese Situation gutes wirtschaftliches Ergebnis erzielen. Eine Herausforderung stellten auch 2023 der Fachkräftemangel und der stetige Sanierungsbedarf der großenteils aus den 1930er Jahren stammenden Infrastruktur im Tiergarten dar.
Mehr als eine Million Gäste
2023 begrüßte der Tiergarten erneut mehr als eine Million Gäste: 1.097.366 Menschen besuchten den Landschaftszoo am Schmausenbuck. 9.334 Personen erwarben Dauerkarten – etwa neun Prozent mehr als 2022.
1.160 Tierpatinnen und -paten unterstützten den Tiergarten mit insgesamt 204.140 Euro. Der Verein der Tiergartenfreunde Nürnberg e. V. verzeichnete zum Jahresende 5.057 Mitgliedschaften. Aufgrund von Partner-, Familien- oder Firmenmitgliedschaften standen dahinter mehr als 12.000 Menschen, die den Tiergarten und seine Arbeit förderten. Damit ist der Verein nach wie vor ein unabdingbarer Stützpfeiler für den Tiergarten, der viele Bau- und Artenschutzprojekte überhaupt erst möglich macht.
"Als Ausflugsziel, Bildungseinrichtung, Forschungs- und Artenschutzzentrum ist der Tiergarten fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in Nürnberg“, sagt Bürgermeister Christian Vogel. "Sein hervorragendes internationales Netzwerk macht ihn auch zu einem wichtigen Akteur im weltweiten Artenschutz. Wir freuen uns, dass 2023 wieder so viele Menschen die wertvolle Arbeit des Tiergartens unterstützt haben – sei es über eine Tierpatenschaft, eine Mitgliedschaft im Verein oder einfach durch ihren Besuch."
Tiergartendirektor Dr. Dag Encke verortet die Arbeit des Zoos im regionalen, nationalen und internationalen Zusammenhang: "Klimawandel, Artensterben, Biodiversitätskrise – wir stehen weltweit vor großen Aufgaben und tiefgreifenden Veränderungen. Als Tiergarten haben und nutzen wir die Chance, die drängenden Themen unserer Zeit aufzugreifen und gemeinsam mit unseren Partnern zu gestalten", sagt er und fügt hinzu: "Die Beteiligung an Erhaltungszuchtprogrammen für gefährdete Arten ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Mitarbeit an internationalen Artenschutzprogrammen und die Durchführung von Forschungsarbeiten, die manchmal sogar weltweit auf großes Interesse stoßen."
Tierbestand und neue Tierarten im Tiergarten
Ende 2023 hielt der Tiergarten 4.314 Tiere aus 331 Arten, davon 252 Wirbeltierarten mit 3.380 Individuen. Im Vorjahr waren es 3.939 Tiere aus 287 Arten, davon 218 Wirbeltierarten mit 2.937 Individuen.
Im Mai 2023 nahm der Tiergarten drei weibliche Eisbären (Ursus maritimus) aus dem Tiergarten Schönbrunn in Wien, dem Erlebniszoo Hannover und dem Dierenrijk Mierlo in den Niederlanden auf. Dafür ging Eisbärin Vera nach Hannover und Eisbär Nanuk nach Wien.
Kurz zuvor kam ein Großer Tümmler (Tursiops truncatus) aus dem Zoo Duisburg an. Die Nürnberger Delfingruppe ist damit auf sieben Tiere angewachsen. Auch die Seekühe haben Zuwachs bekommen: Im Juli übernahm der Tiergarten eine weibliche Rundschwanzseekuh (Trichechus manatus) aus dem Zoo Wroclaw in Polen. Auf Empfehlung des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms EEP (EAZA ex-Situ Programme) hat der Tiergarten seinen weiblichen sibirischen Tiger (Panthera tigris altaica) mit einer Kölner Tigerkatze getauscht.
Daneben hat der Tiergarten auch 62 neue Arten in seinen Bestand aufgenommen, 52 davon Fische und Wirbellose. Außerdem zum Beispiel die stark gefährdeten südamerikanischen Chaco-Pekaris (Catagonus wagneri). "Den Nabelschweinen macht vor allem der Verlust ihres Lebensraums zu schaffen. Wenn dieser Trend anhält, dann wird es einer Studie zu Folge in noch nicht einmal 30 Jahren keine Chaco-Pekaris mehr außerhalb von Schutzgebieten und Zoos geben", sagt Jörg Beckmann, Biologischer Leiter und stellvertretender Direktor des Tiergartens. Mit dem Eber und den zwei Bachen, die Ende Juni in das Gehege zwischen Trampeltieren und Grevyzebras eingezogen sind, beteiligt sich der Tiergarten am EEP und will damit zum Erhalt der Art beitragen.
In die begehbare Bartgeier-Großvoliere sind zwei Schwarzstörche (Ciconia nigra) und vier Alpenmurmeltiere (Marmota marmota) eingezogen. Im Sommer haben außerdem acht Blauschafe (Pseudois nayaur), ebenfalls eine EEP-Art, die neu gestaltete, ehemalige Guanako-Anlage bezogen.
Zuchterfolge bei bedrohten Arten
Hervorzuheben sind die zahlreichen Zuchterfolge, auch bei bedrohten Arten: So gab es vergangenes Jahr im Tiergarten unter anderem Nachwuchs bei den Asiatischen Löwen (Panthera leo persica), den Schabrackentapiren (Tapirus indicus) und den Gelbrückenduckern (Cephalophus silvicultor).
"Der Ducker-Nachwuchs hat schon vor seiner Geburt für viel Aufmerksamkeit gesorgt, da über die Art nur wenig bekannt ist und es bislang kaum Geburten in Zoos gab. Der Nachwuchs liefert der Zoowelt wichtige Erkenntnisse für die Erforschung der Art und über die Zucht, die in Europa aktuell aufgebaut wird", sagt Tiergarten-Kuratorin Diana Koch.
Nach über 30 Jahren ohne Nachwuchs gab es bei den Karpatenluchsen (Lynx lynx carpathicus) wieder Welpen, von denen ein Kater für die Auswilderung in Deutschland vorgesehen ist. Daneben freute sich der Tiergarten über Küken bei den Andenkondoren (Vultur gryphus) und den Harpyien (Harpia harpyia). Bei den Harpyien ist es der erste Nachwuchs in ganz Europa seit mehr als 20 Jahren – ein großer Zuchterfolg für die gefährdete Vogelart aus Südamerika, für deren Schutz sich der Tiergarten seit Jahrzehnten einsetzt. Dabei engagiert er sich auch vor Ort, indem er vor allem brasilianische Wissenschaftler bei der Durchführung genetischer Studien unterstützt. Ebenfalls nach 20 Jahren schlüpften erstmalig wieder Emus (Dromaius novaehollandiae) am Schmausenbuck.
Artenschutz im und außerhalb des Tiergartens
2023 beteiligte sich der Tiergarten an insgesamt mehr als 50 Erhaltungszuchtprogrammen des Europäischen Zooverbandes EAZA. Ihr Ziel besteht darin, einen gesunden und vielfältigen Bestand einer Tierart außerhalb ihres natürlichen Lebensraums zu bewahren. Aus diesen Populationen können Tiere wieder in der Natur angesiedelt werden, wenn es nach den Kriterien der Weltnaturschutzunion IUCN sinnvoll und verantwortbar erscheint.
Auswilderungsprojekte konnte der Tiergarten im vergangenen Jahr mit fünf Arten durchführen: Er brachte Alpensteinböcke nach Österreich, Europäische Ziesel nach Tschechien, Europäische Sumpfschildkröten nach Hessen, Waldrappe nach Spanien und einen Bartgeier in den Nationalpark Berchtesgaden. Den Jungvogel aus der Eulen- und Greifvogelstation Haringsee in Österreich hatten die Nürnberger Bartgeier zuvor als Ammeneltern aufgezogen.
Fortschritt bei Bauprojekten
Mit dem Einzug der Blauschafe hat der Tiergarten eine weitere Anlage des neuen Asien-Bereichs in Betrieb genommen. In diesem mittig gelegenen Teil des Tiergartens werden in den nächsten Jahren die bestehenden Gehege neugestaltet und teilweise miteinander verbunden. Künftig werden dort überwiegend bedrohte asiatische Tierarten leben.
Die Kosten für den Umbau der Anlage für Blauschafe betrugen rund 700.000 Euro und wurden vollständig vom Verein der Tiergartenfreunde Nürnberg e. V. getragen.
Außerdem gingen die Bauarbeiten an der Delfinlagune weiter voran und der Bau des Klimawaldpfads hat begonnen. "Der Pfad führt die Gäste in die Kronenregion der heimischen Bäume des Reichswalds. Mit dem Klimawaldpfad machen wir den Lebensraum Wald, die Zusammenhänge im Ökosystem und die Auswirkungen des Klimawandels erlebbar", sagt Dr. Dag Encke. Der Klimawaldpfad mitsamt grünem Klassenzimmer und einer reichhaltigen erlebnispädagogischen Ausstattung wurde von dem Architekturbüro Stöger+Kölbl in Zusammenarbeit mit dem Zoo-Designer Martin Schuchert entwickelt. Die 450 Meter lange Brückenkonstruktion kostet rund 4,1 Millionen Euro und wird vollständig durch die Zukunftsstiftung der Sparkasse Nürnberg finanziert. Gehege für Waldrentiere, Eulen, Kreuzottern und Amphibien steuert der Tiergarten bei. Die dafür benötigten zirka 750.000 Euro entstammen den Rücklagen des Tiergartens.
Der Tiergarten als außerschulischer Bildungsort
2023 haben rund 15.000 Bürgerinnen und Bürger das Bildungsangebot des Tiergartens wahrgenommen – entweder privat oder im Rahmen eines Programms ihrer Bildungsinstitution vom Kindergarten bis zur Universität. Mit besonderen Führungen, einer persönlichen Begegnung mit dem Lieblingstier oder spezifischen Lehrangeboten konnte die Zoopädagogik damit einer Vielzahl von Menschen verschiedener Altersstufen Themen rund um Natur und Tiere anschaulich vermitteln.
Der Tiergarten als Land- und Forstbetrieb
Auf seiner Außenstelle Gut Mittelbüg in Schwaig mit angegliederter Biolandwirtschaft haben die Landwirte des Tiergartens erneut den Großteil des Grünfutters für die Pflanzenfresser selbst angebaut. Der Mist der Pflanzenfresser wurde wiederum zu nährstoffreichem Dauerhumus verarbeitet, sodass eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft mit kurzen Wegen entsteht. Auch das geerntete Heu dient dem Naturschutz: Es entstammt zum großen Teil den Magerwiesen des Naturschutzgebiets Pegnitztal Ost und verschiedenen Wasserschutzgebieten der N-Ergie.
Als Forstbetrieb der Stadt Nürnberg hat der Tiergarten gut 230 Hektar städtischer Waldflächen bewirtschaftet. In diesem Rahmen führte er zahlreiche Wald- und Baumarbeiten im Stadtgebiet durch. Dazu gehörten unter anderem Verkehrssicherungsmaßnahmen sowie die ökologische Gestaltung von Waldrändern als Lebensraum für heimische Vogel- und andere Wildtierarten.
Auch am Umbau des Reichswalds hin zu einem klimastabilen Mischwald war und ist der Tiergarten weiterhin beteiligt. Er kümmerte sich erstmals auch um die Pflanzung klimaresilienter Geburtenbäume: Bei der Aktion „Pro Baby ein Baum“, die Oberbürgermeister Marcus König ins Leben gerufen hat, pflanzt die Stadt Nürnberg für jedes Neugeborene einen Baum. Im letzten Jahr waren dies 5.031 neue Bäume.
Forschung im Zoo als wichtiges Instrument des Artenschutzes
2023 sorgte eine Studie zur Elektrorezeption bei Großen Tümmlern, die im Tiergarten Nürnberg durchgeführt wurde, für weltweites Aufsehen: Biologe Dr. Tim Hüttner kam in seiner Doktorarbeit zu dem Ergebnis, dass Delfine elektrische Felder im Wasser spüren. Mit dieser Erkenntnis aus der Grundlagenforschung könnte man den Ursachen für Massenstrandungen auf die Spur kommen: Wenn sich Delfine an elektromagnetischen Feldern orientieren, könnte eine Störung der natürlichen Felder durch starke technische elektromagnetische Felder eine Fehlorientierung bei den Delfinen hervorrufen. Die langjährige Studie hat er in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Guido Dehnhardt, Lehrstuhl für Sensorische und Kognitive Ökologie an der Universität Rostock, durchgeführt. Nach ihrer Veröffentlichung wurde sie zu einer der 100 meistzitierten wissenschaftlichen Publikationen weltweit im Jahr 2023.
Studien wie diese zeigen, dass wissenschaftlich geführte Zoos wie der Tiergarten Nürnberg wichtige Forschungseinrichtungen und ein Modell für integrierten Artenschutz sind. Viele Artenschutzmaßnahmen profitieren von den in Zoos gewonnenen und wissenschaftlich aufgearbeiteten Ergebnissen. So helfen beispielsweise Erkenntnisse aus der Veterinärmedizin dabei, gestrandete und verletzte Delfine in der Natur zu versorgen.
Der Wert dieses Wissens wurde 2023 einmal mehr in Brasilien deutlich: Im Herbst verendeten im Amazonasgebiet rund 160 Flussdelfine innerhalb kurzer Zeit im Tefé- See. Betroffen waren die ohnehin schon bedrohten AmazonasFlussdelfine (Inia geoffrensis) und Sotalia-Flussdelfine (Sotalia fluviatilis). Der Tiergarten, die ihm angegliederte Artenschutzgesellschaft YAQU PACHA e. V. und der Verein der Tiergartenfreunde Nürnberg e. V. haben die Fachleute vor Ort unterstützt. Gemeinsam mit Partnern weltweit haben sie finanzielle Hilfe in Höhe von 68.000 Euro organisiert – auch dank vieler großzügiger Spenden – sowie tiermedizinische und technische Unterstützung für den Einsatz koordiniert.
Zudem koordinieren der Tiergarten und YAQU PACHA e.V. eine Allianz von Experten aus Europa, Süd- und Nordamerika, die unter anderem Handlungsleitfäden zur Rettung gestrandeter Franciscana-Flussdelfine (auch La Plata-Delfine, Pontoporia blainville) entwickelt haben.
Dass Leistungen des Tiergartens im Bereich Forschung und Artenschutz international Beachtung finden, zeigte sich auch an der Ehrung des Europäischen Zooverbands EAZA von Dr. Lorenzo von Fersen, Kurator für Artenschutz und Forschung und 2. Vorsitzender des Vereins der Tiergartenfreunde Nürnberg e.V. Er wurde mit dem Lifetime Achievement Award für seine Verdienste um den Schutz aquatischer Säugetiere und seine wissenschaftlichen Leistungen ausgezeichnet.
Weiterer Baustein im Pilotprojekt "Klimaneutraler Tiergarten"
Im vergangenen Jahr arbeitete der Tiergarten weiter daran, im Rahmen des Pilotprojekts "Klimaneutraler Tiergarten der Stadt Nürnberg" kohlenstoffdioxidneutral, kurz CO2-neutral, zu werden. Eine Komponente dabei war die Umstellung des Fuhrparks auf synthetischen Kraftstoff. Durch den Einsatz von HVO-Diesel (englisch Hydrogenated oder Hydrotreated Vegetable Oils, deutsch hydrierte Pflanzenöle) bei allen bislang dieselbetriebenen Fahrzeugen kann der Tiergarten pro Jahr gut 70 Tonnen CO2 einsparen. HVO ist ein nachhaltiger Dieselersatz, der aus pflanzlichen Reststoffen wie Altspeisefetten produziert wird.
Insgesamt könnten mit dem Pilotprojekt zusätzlich zu den bisherigen Einsparungen in den Bereichen Forst, Biolandwirtschaft und Fuhrpark 2.900 Tonnen an CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden.
111 Jahre Tiergarten
2023 feierte der Tiergarten sein 111-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass bot er an einem Maiwochenende Vorträge und historische Rundgänge an. Auch Veranstaltungen wie das Sommer- oder Herbstfest fanden nach einer längeren pandemiebedingten Pause im letzten Jahr wieder statt.
Ausblick auf das laufende Jahr
Auch im laufenden Jahr wird sich im Tiergarten wieder einiges verändern: So werden der Umbau und die Sanierung des Giraffenhauses beginnen, die Arbeiten an der Lagune werden fortgeführt und der Klimawaldpfad wird eröffnet.