Im Sommer freute sich der Tiergarten Nürnberg über dreifachen Nachwuchs bei den Karpatenluchsen (Lynx lynx carpathicus). Inzwischen steht das Geschlecht der Jungtiere fest: Es sind zwei Kuder und eine Katze. Vor kurzem haben sie ihre erste Impfung gegen verschiedene Katzenkrankheiten erhalten und wurden tiermedizinisch untersucht. Der Tiergarten beteiligt sich mit den Luchsen am Erhaltungszuchtprogramm des Europäischen Zooverbands EAZA (EAZA Ex-situ Programme, kurz EEP). Welches der Jungtiere im Zuge des EEPs in andere Einrichtungen umzieht oder ausgewildert wird, steht noch nicht fest. Ende Juli dieses Jahres wurde ein junger Luchs aus dem Tiergarten im Schwarzwald ausgewildert.
Einjähriger Luchs aus dem Tiergarten im Schwarzwald ausgewildert
Vor der Geburt der drei Welpen sind die beiden Jungtiere, die im letzten Jahr zur Welt kamen, umgezogen: Ein Kuder ging an die Tierwelt Herberstein nach Österreich, der zweite wurde Ende Juli im Rahmen des Projekts "Luchs Baden-Württemberg" im Schwarzwald ausgewildert. Zuvor verbrachte er einige Monate in einem Koordinationsgehege im Tierpark Oberwald des Zoos Karlsruhe, wo er nur minimalen Kontakt zu Menschen hatte. Unmittelbar vor der Auswilderung wurde er noch einmal gründlich untersucht, geimpft und hat einen GPS-Sender bekommen. Über dieses Monitoring sammelt das Projektteam um Leiterin Eva Klebelsberg von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) wertvolle Informationen, wie die Luchse ihren Lebensraum nutzen und ob sie sich gut etablieren. "Der Luchsnachwuchs aus Zoologischen Einrichtungen ist wichtig, um den Genpool der Bestände in der Natur zu vergrößern und für Nachwuchs zu sorgen", sagt Klebelsberg.
Gute Neuigkeiten gibt es auch von Luchs "Chapo", der 2023 im Tiergarten geboren und im Juli 2024 im Westerzgebirge ausgewildert wurde: Er ist höchstwahrscheinlich Vater geworden. Das Projektteam von „RELynx Sachsen“ hat über Fotofallen festgestellt, dass die ebenfalls 2024 ausgewilderte Katze "Alva" mit zwei Jungtieren durch die Wälder des Westerzgebirges streift. Chapo und Alva haben sich am Ende der Paarungszeit, Anfang April 2025, drei Tage gemeinsam in Alvas Territorium aufgehalten. Dies hatten sogenannte Punkt-Lokationen verraten, die von den GPS-Halsbandsendern gesendet werden. Damit kann erstmals seit fast 300 Jahren wieder eine Luchsreproduktion in Sachsen bestätigt werden. Dieses Ereignis, ein Jahr nach der erfolgreichen Etablierung der ersten ausgewilderten Luchse, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Tiere sich im Westerzgebirge wohlfühlen und sich dieses als Lebensraum für die streng geschützte Tierart eignet.
"Der Moment, in dem ein Tier nach monate-, manchmal jahrelanger Vorbereitung ausgewildert wird, gehört zu den absoluten Höhepunkten unserer Artenschutzarbeit", sagt Jörg Beckmann, Biologischer Leiter und stellvertretender Direktor des Tiergartens. "Dass wir innerhalb von zwei Jahren drei Luchse auswildern konnten und mit den anderen Jungtieren im Rahmen des EEPs zum Arterhalt beitragen können, ist ein großer Erfolg für den Tiergarten."
Die Luchs-Anlage im Nürnberger Tiergarten hat mit Blick auf Auswilderungsprojekte entscheidende Vorteile: Sie umfasst eine Fläche von rund 1.850 Quadratmetern, ist reich strukturiert und bewaldet. Damit bietet sie den Tieren viele Rückzugs- und Versteckmöglichkeiten. Während der Aufzucht in Nürnberg bekommen die Luchse Rehe als Futter, die natürliche Hauptbeute. So kommt es nicht zu einer Fehlprägung auf andere Beutetiere. Die Rehe stammen vom Forstbetrieb Nürnberg der Bayerischen Staatsforsten. Sie werden bei der regulären, nachhaltigen Jagdausübung im Nürnberger Reichswald erlegt und dienen so als hochwertiges Futter.
Zucht in Zoos und Projekte im Lebensraum der Tiere verbinden
Der Tiergarten engagiert sich seit vielen Jahren für den Erhalt und Schutz des Karpatenluchses. Er ist Mitglied im beratenden Gremium des EEPs, dem sogenannten Species Committee, und Mitglied bei "Linking Lynx": Das internationale Netzwerk beschäftigt sich mit der Erhaltung, dem Monitoring und dem Management des Karpatenluchses. Ziel ist es, Vorkommen zu stützen, zu gründen und miteinander zu verbinden.
2024 wurde das Zuchtbuch für Karpatenluchse in ein EEP überführt. Dies war ein entscheidender Schritt, um die Zuchtbemühungen in Zoos mit Projekten im Lebensraum der Tiere (sogenannte In-situ-Projekte) zu verbinden. "Jeder Nachwuchs – wie auch die diesjährigen Jungtiere im Tiergarten Nürnberg – ist ein wertvoller Beitrag zum langfristigen Erhalt der Art", sagt Dina Gebhardt, zuständige EEP-Koordinatorin und Kuratorin im Tierpark Bern. "Der Tiergarten erfüllt alle Anforderungen an die Auswilderungszucht und zeigt eindrucksvoll, wie wissenschaftlich geführte Zoos aktiv am Schutz bedrohter Arten mitwirken. Durch die enge Zusammenarbeit im europäischen Expertennetzwerk Linking Lynx können wir sicherstellen, dass genetisch geeignete Luchse perspektivisch in eines der Wiederansiedlungsprojekte in Deutschland integriert werden – und so der Karpatenluchs dauerhaft in unsere Wäldern zurückkehrt."
Dr. Alexander Sliwa, Leiter der EAZA-Fachgruppe für Katzen (EAZA Felid Taxon Advisory Group) und Kurator im Zoo Köln, sagt: "Das EEP für Karpatenluchse ermöglicht eine bisher einmalige Zusammenarbeit der Halter dieser größten Katzenart in Zentraleuropa nach wissenschaftlichen Maßstäben. Wir hoffen dass die Zusammenarbeit über die kommenden Jahrzehnte weiter gestärkt wird, denn nur durch ein gutes Netzwerk von Partnern haben solche ambitionierte und auf längere Zeiträume ausgelegten Projekte Aussicht auf nachhaltigen Erfolg – der Etablierung selbsterhaltender Bestände des Luchs, hier der Unterart Karpatenluchs, in Mitteleuropa."
Ausgestorben und wiederangesiedelt
Wegen seiner weiten Verbreitung, die sich bis nach Nordostasien erstreckt, stuft die Weltnaturschutzunion (IUCN) den Eurasischen Luchs (Lynx lynx) aktuell als global „nicht gefährdet“ ein. Er gilt allerdings in weiten Teilen Europas als ausgestorben und konnte nur lokal wiederangesiedelt werden.
In Deutschland galt er bis ins späte 20. Jahrhundert hinein als ausgestorben. Ende 2020 gab es laut Bundesamt für Naturschutz wieder rund 190 wildlebende Eurasische Luchse in Deutschland. Das größte Vorkommen liegt im Harz und erstreckt sich bis Nordhessen. Die Population geht auf eine Auswilderung von 24 Luchsen aus Zoos und Wildparks Anfang der 2000er-Jahre zurück.
Der Luchs ist die größte Katze Europas und zählt mit dem Wolf und dem Bären zu den drei großen, landlebenden Beutegreifern der mitteleuropäischen Tierwelt. Luchse leben hauptsächlich in Wäldern und sind dämmerungs- und nachtaktiv. Charakteristisch sind die Haarpinsel an den spitzen Ohren und der kurze Schwanz.
Weiterführende Links:
Linking Lynx | Linking Lynx
Luchs in Sachsen - sachsen.de
Luchs Baden-Württemberg - Wildtierportal