Knapp die Hälfte aller Walarten sind aktuell gefährdet oder vom Aussterben bedroht: Zu dieser Einschätzung kommt die Weltnaturschutzunion IUCN. Zu den Walarten zählen auch Delfine. Den Tieren wird zum Verhängnis, dass sich ihre Interessen mit denen der Menschen überschneiden. Wie kann es in der gebotenen Eile gelingen, beide in Einklang zu bringen, damit das Überleben von Mensch und Tier nachhaltig gesichert wird?
An einer Antwort auf diese Frage arbeiten der Tiergarten Nürnberg und die ihm angegliederte Artenschutzgesellschaft Yaqu Pacha e. V. gemeinsam mit einem internationalen Netzwerk von Naturschützerinnen und Naturschützern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Ihr Fokus liegt dabei auf bedrohten Kleinwalarten. In dem Workshop "Lokale Lösungen für globale Probleme: Einbezug der Bevölkerung in den Schutz küstenbewohnender Meeressäuger", der im Religionspädagogischen Zentrum Heilsbronn stattfand, haben Biologinnen, Psychologen, Sozialwissenschaftlerinnen und Pädagogen aus 15 Ländern im Dezember 2022 ihr Wissen und ihre Erfahrungen gebündelt.
Ihr Ziel: Einen Leitfaden zu entwickeln, der Naturschützern und den Menschen vor Ort hilft, die Tiere zu schützen und den Menschen ein nachhaltiges Einkommen zu bieten. Denn die bittere Armut großer Teile der Bevölkerung, die in Mittel- und Südamerika, Afrika und Indien in unmittelbarer Nähe zu den Delfinen lebt, ist eine der größten Herausforderungen im Kampf um das Überleben der bedrohten Kleinwalarten.
Armut erschwert Artenschutz
Wer nicht weiß, wie er seine Familie ernähren soll, hat für Artenschutz oft keine Kraft. Delfine verfangen sich und ertrinken in den Netzen, die Fischer auslegen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken oder um durch den Verkauf der Fische ein Einkommen zu erzielen.
Die Chance auf ein überdurchschnittlich hohes Einkommen bietet der Fang des so illegal wie teuer gehandelten Totoaba. Dieser Fisch wird im Golf von Kalifornien wegen seiner Schwimmblase gejagt: sie gilt in China als Heilmittel und Delikatesse und kostet inzwischen auf dem Schwarzmarkt mehr als Kokain. Der Kalifornische Schweinswal – der Vaquita – endet als Beifang.
So bezahlen Totoaba und Vaquita einen noch höheren Preis als Konsumenten der Totoaba-Schwimmblase. Beide Arten sind inzwischen vom Aussterben bedroht, das Ende des Vaquitas ist nicht mehr abzuwenden: Es gibt nur noch etwa neun Tiere.
Mit diesem Schicksal sind sie nicht allein. Am Baiji, einem chinesischen Flussdelfin, ist deutlich geworden, wie schnell eine Art verschwinden kann: er gilt seit 2007 als ausgestorben. Vaquita und Baiji zeigen, was passiert, wenn Naturschützer, Gesellschaft und Politik nicht rechtzeitig und entschieden eingreifen, um das Schwinden einer Art zu bremsen.
Das Netzwerk um Yaqu Pacha e. V. und den Tiergarten Nürnberg, zu dem auch namhafte Vertreterinnen der IUCN gehören, ist fest entschlossen, den Verlust weiterer Kleinwalarten zu verhindern.
Denn auch bei anderen Kleinwalarten nimmt der Bestand drastisch ab: Unter anderen beim Amazonasdelfin (Inia geoffrensis), dem La-Plata-Delfin (Pontoporia blainvillei), dem Amazonas-Sotalia (Sotalia fluviatilis) und dem südamerikanischen Lahille Tümmler (Tursiops truncatus gephyreus) ebenso wie bei dem afrikanischen Kamerunflussdelfin (Sousa teuszii), dem Bleifarbenen Delfin (Sousa plumbea) und bei den südasiatischen Flussdelfinarten (Platanista gangetica spp.) sowie dem ebenfalls in Asien beheimateten Irawadidelfin (Orcaella brevirostris).
Bei ihrem Schutz kommt der Bevölkerung vor Ort eine Schlüsselrolle zu."Das Wichtigste ist, dass wir die Menschen, die dort manchmal als Ursache der Probleme gesehen werden, für den Artenschutz gewinnen", sagt der Kurator für Artenschutz und Forschung des Tiergartens Nürnberg und Vorsitzende von Yaqu Pacha e. V., Lorenzo von Fersen.
"Um das zu erreichen, brauchen wir nicht nur Biologen, wir brauchen Sozialpsychologen, wir brauchen Wirtschafts- und Kommunikationsexperten. Im Grunde ist es ein fächerübergreifender Ansatz, der dazu führt, dass wir die Menschen, die früher das Problem waren, gewinnen, um zur Lösung beizutragen."
Artenschutz als umfassende, gemeinsame Anstrengung
Zusätzlich zur Arbeit der Naturschützer vor Ort unterstützen zoologische Gärten und Aquarien die Artenschutzbemühungen mit ihrer Infrastruktur und ihrer Forschungsarbeit. Lässt sich der Verlust der Tiere in der Natur nicht bremsen, haben sie die Kapazitäten, eine Reservepopulation in ihren Einrichtungen aufzubauen – mit dem Ziel, das Aussterben der Art zu verhindern und Tiere dann wieder auszuwildern, wenn die Gegebenheiten in ihren Lebensräumen es zulassen.
Ob des rasanten Schwindens tausender Tier- und Pflanzen- sowie Pilzarten ist Artenschutz eine zunehmend komplexe Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann – der Kampf um die bedrohten Kleinwalarten ist hierfür ein eindrückliches Beispiel.
Nur, wenn Naturschützer vor Ort und Artenschützer, die sich für den Erhalt der Arten außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes einsetzen, die Bevölkerung und politische Entscheidungsträger zusammenarbeiten, können sie deren Überleben sichern.
In diesem Sinn unterstützen Yaqu Pacha e. V., der Tiergarten Nürnberg und der Verein der Tiergartenfreunde Nürnberg e. V. im Rahmen des Netzwerkes ihre Partner zum Beispiel bei der Anschaffung von Forschungsausrüstung wie auch bei der Erarbeitung von Arbeitsmaterialien, in denen die lokale Bevölkerung etwas über den Wert der Delfinarten, deren Schutz und ihre Rolle dabei erfährt.
Jede Art, die stirbt, nimmt weitere mit
Warum die ganze Mühe – ist es wirklich so schlimm, wenn der Planet eine Handvoll Kleinwalarten verliert? Ja. Denn jede Art spielt eine Rolle in dem Ökosystem, in dem sie lebt. Tier- und Pflanzenarten haben in Jahrtausenden der Evolution gelernt, auf die Eigenschaften, die Hinterlassenschaften, die Gewohnheiten der anderen zu reagieren und sie zu nutzen.
Delfine stehen am Ende der Nahrungskette und erfüllen wichtige Funktionen in ihrem Ökosystem. Verschwinden sie, gerät das System aus dem Gleichgewicht. Andere Arten werden mitgerissen und sterben ebenfalls aus. Je mehr Arten wir Menschen aufgeben, desto fragiler wird unsere eigene Lebensgrundlage. Nichts weniger als das bedeutet eine gesunde Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt.