Treffen von Meeressäuger-Experten empfiehlt den von der Weltnaturschutzunion (IUCN) entwickelten One-Plan-Approach für die Erhaltung von Kleinwalen.
37 Experten aus 14 Ländern trafen sich vom 14. bis 18. Dezember 2018 auf Einladung des Tiergartens der Stadt Nürnberg und der im Tiergarten beheimateten Artenschutzgesellschaft Yaqu Pacha, um zu diskutieren, ob, wann und wie Ex-situ-Maßnahmen für den Erhalt bedrohter Kleinwale (Delphine und Schweinswale) getroffen werden können. An den drei Tagen intensiver Arbeit wurde unter anderem die Gefahren und Probleme besprochen, die letztendlich zur Ausrottung des Jangtze-Fluss-Delphins (dem Baiji) in China und des kurz vor dem Aussterben stehenden Vaquita-Schweinswals in Mexiko geführt haben.
„Dieser Workshop, an dem zum ersten Mal Wal- und Delphinexperten aus der Freilandforschung und der Zoo- wie auch Aquarien-Welt teilgenommen haben, war ein wichtiger erster Schritt, um konkret bedrohten Delphinarten zu helfen. Wie Wissen auch unterschiedlichen Forschungsgebieten eingezogen wurde, konnten eine Grundlage geschaffen und einen Arbeitsplan entwickelt werden, um das Überleben vieler bedrohter Kleinwale zu sichern. Wichtig dabei ist zu verstehen, dass Ex-Situ Maßnahmen Zeit benötigen und Ressourcen erfordern um dem In-Situ Schutz eine unterstützende Hilfe zu sein,“ so Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz im Tiergarten Nürnberg und als erster Vorsitzender von Yaqu Pacha einer der Gastgeber des Workshops.
Die Teilnehmenden des Workshops, Tierärzte, Biologen und Populationsmanager, bereiten einen detaillierten Abschlussbericht auf der Grundlage des von der IUCN entwickelten One-Plan-Approach (OPA) vor. Mit diesem Ansatz hat die IUCN eine Vielzahl von Maßnahmen und Instrumente definiert, die dem Artenschutz zur Verfügung stehen. Unter anderem sollen bedrohte Tierarten zukünftig verstärkt unter Einbezug aller in menschlicher Obhut und in der Wildbahn vorkommenden Individuen der jeweiligen Art als eine Weltpopulation gesehen und geschützt werden.
"Das Konzept des One-Plan-Approach, das von der Conservation Planning Specialist Group (CPSG) der IUCN entwickelt wurde, stellt ein Kontinuum von Maßnahmen, von Ex-situ bis In-situ dar. Ex-situ umfasst alle Maßnahmen, die außerhalb des natürlichen Lebensraumes der Tierart durchgeführt werden. In-Situ sind die Maßnahmen, die der Arterhaltung im natürlichen Habitat der Tierart dienen sollen,“ so Dr. Phil Miller, Senior Program Officer der CPSG.
„Es ist wichtig zu verstehen, dass Ex-situ-Managementtechniken, die im Artenschutz-Management angewendet werden, Translokation, Rehabilitation, unterstützendes Management in natürlichen Lebensräumen, modifizierten Lebensräumen sowie Zoo- und Aquarienmanagement umfassen, jedoch nicht darauf beschränkt sind. Wir unterstützen Einzelpersonen und Organisationen, die für diese Arten verantwortlich sind, und die daran gearbeitet haben, diese Arten In-Situ zu erhalten. Wir schätzen die Informationen, die sie weitergeben können, und glauben, dass eine ganzheitliche Herangehensweise wie der One-Plan Approach die Bemühungen um den Erhalt dieser Arten verstärkt“ so Dr. Randy Wells, leitender Naturwissenschaftler der Chicago Zoological Society.
Während des Workshops wurde von chinesischen und mexikanischen Delphinexperten die Problematik und die Rettungsversuche des Baiji und des Vaquita erläutert. In beiden Fällen stellte sich heraus, dass man viel zu lange gewartet hat, um beiden Tierarten eine Überlebenschance zu bieten. Aber auch die positiven Erfahrungen mit dem Erhalt des Jangtse- Glattschweinswal wurden dargestellt.
„Die Vaquita-Population sank in den letzten sechs Jahren dramatisch auf etwa 25 Individuen. Trotz jahrelanger Bemühungen konnte der Beifang durch legale und illegale Stellnetze nicht gestoppt werden. Leider kam unsere Entscheidung, den Vaquita in ihrem natürlichen Lebensraum in ein geschütztes Areal zu überführen, zu einem Zeitpunkt, als sich die Art bereits kurz vor dem Aussterben befand. Wir waren zu spät, um zu lernen, wie man sich um diese Tiere kümmert. Eine Ex-situ-Option hätte für die Rettung dieser Art mit Sicherheit eine wichtige Alternative gewesen“ erläutert Dr. Lorenzo Rojas-Bracho von ICONABIO, der nationalen Kommission für Biodiversität in Mexiko. „Die Situation mit dem Jangtse-Glattschweinswal ist ein gutes Beispiel dafür, wie durch ein integriertes Arterhaltungskonzept unter Einbezug von In-Situ- und Ex-Situ-Maßnahmen, einer Tierart geholfen werden kann. Dieser Plan war erfolgreich, weil er nicht nur zum richtigen Zeitpunkt kam, sondern auch den Schutz der Tierart im natürlichen Lebensraum beinhaltet und eine Ex-Situ-Option umfasst.“
Weitere sieben bedrohte Kleinwalarten wurden in dem Workshop herausgearbeitet und waren dessen Hauptthema. Alle diese Arten haben gemeinsam, dass sie in Flüssen oder nahe der Küste leben, ihre Population innerhalb der letzten 20 Jahre drastisch gesunken ist und sie durch die anhaltende und nicht nachlassende Gefahr durch die Fischerei und/oder der Zerstörung ihres Lebensraums (Habitat) bedroht werden.
Experten, die vor Ort mit diesen sieben Arten von Küsten- und Flussdelphinen gearbeitet haben, berichteten über ihre Erfahrungen. Die Delphinarten wurden von der Wal- und Delphinspezialisten Gruppe der IUCN als anfällig (VU), gefährdet (EN) oder kritisch gefährdet (CR) bewertet. Zu diesen Arten gehören drei aus Südamerika. Das sind der Amazonas-Delphin oder Boto (Inia geoffrensis), der Franciscana (Pontoporia blainvillei) und der Tucuxi (Sotalia fluviatilis). Zwei weitere Delphinarten leben vor den Küsten Afrikas. Das sind der Atlantische Buckel-Delphin (Sousa teuszii) und der Indische Delphin (Sousa plumbea). Außerdem sind zwei Arten aus Asien betroffen: der südasiatische Flussdelphin (Platanista gangetica) und der Irawadi-Delphin-Delphin (Orcaella brevirostris).
"Wir wissen, dass unzählige Individuen dieser Arten in Stellnetzen verenden, und dass solche Fischereipraktiken viele Arten bedrohen, wie wir es kürzlich mit dem Vaquita erlebt haben“ sagte Dr. Barbara Taylor von der NOAA, der National Oceanic and Atmospheric Administration in den USA. „Wir möchten bereit sein, uns um jede dieser Arten zu kümmern, indem wir hoffnungsvoll sind und für das beste Ergebnis arbeiten, aber auf das Schlimmste vorbereitet sind. Wir möchten die Notaufnahme bereit haben und wissen, wie wir uns um die Patienten kümmern müssen.“
Die Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmer war sich darin einig, dass bestimmte Aufgaben sofort als potenziell hilfreich für die Entwicklung integrierter In-situ-Ex-situ-Aktionspläne zur Erhaltung mehrerer in Betracht gezogener Arten identifiziert werden können. Dazu gehört es zum Beispiel Protokolle zum Fangen und wieder Freilassen von Individuen aller sieben Arten im Rahmen sogenannter Gesundheitschecks zu entwickeln, wenn dies in Notsituationen erforderlich ist.
Einzelheiten zu den empfohlenen Artenaktionsplänen werden in den Bericht des Workshops aufgenommen, der in den nächsten Wochen veröffentlicht wird. Die Teilnehmenden des Workshops repräsentieren unterschiedliche Interessen und Erfahrungen, einschließlich. Sie sind Mitglieder der Wal- und Delphinspezialisten-Gruppe der IUCN-SSC, Wissenschaftler, die mit den betroffenen Arten in deren natürlichem Lebensraum arbeiten, sie vertreten internationale Zoo- und Aquarien-Verbände wie unter anderem die WAZA (Weltverband für Zoos and Aquarien), AZA (Verband Amerikanischer Zoos) und EAZA (Europäischer Zoo und Aquarien Verband), sind Populationsbiologen der IUCN/CPSG und auf Meeressäugetiere spezialisierte Tierärzte mit weitreichender Erfahrung sowohl in Zoos oder Aquarien als auch im Freiland.
Der Workshop wird vom Tiergarten Nürnberg, der National Marine Mammal Foundation von San Diego, USA, und der im Tiergarten beheimateten Artenschutzgesellschaft Yaqu Pacha e.V. organisiert. Ocean Park Corporation (Hong Kong), Yaqu Pacha und der Tiergarten Nürnberg unterstützen den Workshop finanziell. Mitglieder der Wal- und Delphinspezialisten-Gruppe der Special Survival Commission (SSC) der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) unterstützen den Workshop wissenschaftlich und technisch.