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Tiergartenforschung: Studie zum Flugunfähigmachen

Im Rahmen seiner im Tiergarten der Stadt Nürnberg entstandenen Doktorarbeit erforschte der Tierarzt Lukas Reese die Auswirkungen des Flugunfähigmachen von Zoovögeln am Beispiel von Rosaflamingos. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Animals, Ausgabe 10/2020 veröffentlicht.  Von den insgesamt elf Autorinnen und Autoren der wissenschaftlichen Studie gehören mit Dr. Katrin Baumgartner, Dr. Lorenzo von Fersen und Dr. Hermann Will drei Beteiligte zum Team des Tiergartens Nürnberg. Die Autorinnen und Autoren verglichen den möglichen Stresslevel der Vögel anhand des Stresshormons Corticosteron. Sie erkannten, dass der „Flugfähigkeitsstatus keinerlei Einfluss auf die Federcorticosteron­konzentration“ hat. „Auch die Daten aus den Beobachtungen zeigten keinerlei Unterschiede zwischen den Tieren unterschiedlichen Flugfähigkeitsstatus.“ Bis zu dieser Veröffentlichung gab es keine wissenschaftliche Untersuchung, die sich mit den Auswirkungen auf das Wohlbefinden der betroffenen Vögel beschäftigt.

Das Flugunfähigmachen von Vögeln stellt eine seit Jahrhunderten gängige Praxis in zoologischen Einrichtungen weltweit dar. Im Laufe der vergangenen Jahre ist sie zunehmend in die Kritik geraten. Hauptsächlich betroffen davon sind Vögel, deren Leben sich überwiegend auf dem Boden oder auf dem Wasser abspielt. Gemeint sind etwa Flamingos, einige Pelikanarten und Kraniche, die so auf zumeist großen, offenen Anlagen und Seen gezeigt werden können. Die gängigen Methoden umfassen einerseits nicht-umkehrbare Maßnahmen, wie das Kürzen der Flügelspitzen (Kupieren) oder die Entfernung oder Verödung der Wachstumsanlage der Schwungfedern. Diese Methoden sind durch §6 des Tierschutzgesetz (Amputationsverbot) mittlerweile verboten. Da jedoch viele Vögel der betroffenen Vogelarten sehr alt werden, gibt es noch immer zahlreiche davon betroffene Tiere in deutschen Zoos. Eine reversible Methode stellt das Beschneiden der Schwungfedern dar, die mit jeder Mauser wieder nachwachsen, weshalb dies regelmäßig wiederholt werden muss.

Nachdem die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) in einer Stellungnahme im Jahr 2015 den Mangel an wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen aufzeigte, gründeten Dr. Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz im Tiergarten Nürnberg sowie Dr. Katrin Baumgartner, Zootierärztin im Tiergarten Nürnberg, eine Arbeitsgruppe zum Thema Flugunfähigmachen von Zoovögeln. In Kooperation mit dem Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde der Freien Universität Berlin um Prof. Christa Thöne-Reineke sowie Wissenschaftlern der Autonomen Universität Barcelona konnte nun eine Pilotstudie von Doktorand und Tierarzt Lukas Reese veröffentlicht werden.

Lukas Reese erhob in insgesamt zwölf verschiedenen deutschen Zoos, die sich zuvor allesamt zur Studienteilnahme bereit erklärt hatten, wissenschaftliche Daten zu Rosaflamingos mit unterschiedlichem Flugfähigkeitsstatus. Verglichen wurden dabei flugfähige Tiere in Volierenhaltung mit beschnittenen wie auch mit kupierten Tieren.

Als wichtigste Vergleichsgröße diente die Konzentration von Corticosteron in den Federn der untersuchten Tiere. Dabei handelt es sich um ein Hormon, das dem bekannteren und bei den meisten Säugetieren vorkommenden Cortisol in Funktion und Wirkung sehr ähnlich ist. Corticosteron wird in Stresssituationen exzessiv ausgeschüttet, um den Körper auf die damit einhergehenden erhöhten Anforderungen vorzubereiten. Während des Federwachstums wird dieses im Blutkreislauf zirkulierende Hormon auch in die Feder eingebaut.

Mittels Laboranalysen, die an der Universität Barcelona durchgeführt werden, kann Corticosteron aus der Feder herausgelöst und gemessen werden. So kann mit Hilfe eines vergleichsweise schonenden Verfahrens eine Aussage über den Hormonhaushalt des betroffenen Tieres über einen längeren Zeitraum (so lange die Feder wächst) getroffen werden. Um Unterschiede im Verhalten zu dokumentieren, und um andere stressauslösende Faktoren auszuschließen, die zu Fehlinterpretationen der Corticosteron-Werte führen könnten, wurden diese Analysen von Verhaltensbeobachtungen der Rosaflamingos begleitet.

Erstaunlicherweise hatte der Flugfähigkeitsstatus keinerlei Einfluss auf die Federcorticosteronkonzentration. Auch die Daten aus den Beobachtungen zeigten keinerlei Unterschiede zwischen den Tieren unterschiedlichen Flugfähigkeitsstatus. Es wurden jedoch – teilweise sogar deutliche - Unterschiede zwischen den verschiedenen Flamingogruppen, also den Zoopopulationen gefunden. Insofern scheinen andere Parameter der Haltung, beziehungsweise deren Summe einen maßgeblichen Effekt auf die Corticosteronbildung zu haben. Die Autorinnen und Autoren warnen jedoch davor, auf Grundlage dieser Ergebnisse voreilige Schlüsse oder gar Konsequenzen zu ziehen. Es handle sich dabei lediglich um eine erste Forschungsarbeit, der in der Zukunft noch weitere folgen sollen. Weitere Studien, unter anderem auch an anderen Vogelarten, sollen bei der Interpretation dieser Daten helfen.

Neben Natur- und Artenschutz sowie der Bildung der Besucher, stellt die Wissenschaft und Forschung an in Menschenhand gehaltenen Tieren die dritte wichtige Aufgabe von Zoos in der Gesellschaft dar. Studien wie diese dienen der stetigen Verbesserung der Haltungsbedingungen und des Verständnisses der in Menschenobhut gehaltenen Tiere. Daher möchten sich die Autorinnen und Autoren herzlich beim Verband der Zoologischen Gärten e.V. (VdZ) für die Finanzierung des Projektes bedanken. Besonderer Dank gilt weiter den vielen zoologischen Einrichtungen, die ihren Beitrag zu dieser Studie geleistet haben und deren Rosaflamingos in diese Studie mit einbezogen wurden.