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Aktuelles aus dem Tiergarten

Stellungnahme der deutschen Zoos mit Delphinarien zum Film „The Cove“

Nachdem in öffentlichen und privaten Medien bereits der Film „The Cove“, der am 22. Oktober 2009 in Deutschland in die Kinos kommt, ausgiebig vorgestellt und kommentiert wurde, beziehen die deutschen Zoos mit Delphinarien zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung.

„The Cove“ zeigt grausame Bilder von den jährlich in Taiji (Japan) stattfindenden Delphintreibjagden. Der mit mehreren Preisen gekrönte Öko-Thriller schürt mit einer emotionsgeladenen Dokumentation negative Stimmung gegen Zoos und Delphinarien, die in keinerlei Zusammenhang mit diesen grausamen Treibjagden stehen. Der Film impliziert, dass Zoos und Delphinarien für diese Massaker verantwortlich sind, weil einige Tiere über unseriöse Händler in Delphinarien nach Japan, China, Vorderen Orient etc. gelangen. Der Film und die damit verbundene öffentliche Diskussion legen nahe, dass Delphintreibjagden gestoppt werden können, wenn keine Menschen mehr in Delphinarien gehen.

Der Tiergarten der Stadt Nürnberg erklärt bzw. stellt fest:

1. Treibjagden sind inhuman und werden von uns ausdrücklich und aufs Schärfste verurteilt! Die grausame Tötung von Delphinen, wie es bei den Delphintreibjagden der Fall ist, ist in der heutigen Zeit ein verachtenswertes Beispiel menschlichen Umgangs mit Tieren. Es ist zu begrüßen, dass Menschen auf diese Massentötung von Tieren aufmerksam gemacht werden.

2. Zoos und Aquarien weltweit wie auch die europäischen Delphinarien haben bereits vor Jahren klar Stellung zu diesen Delphinfangaktionen bezogen. Vor fünf Jahren (2004) haben der Weltzooverband (World Association of Zoos and Aquariums, WAZA) und der Amerikanische Zooverband (Association of Zoos and Aquariums, AZA) diese Fangaktionen streng verurteilt und ihre Mitglieder aufgefordert, sich von solchen Praktiken zu distanzieren und keine Tiere dieser Herkunft zu erwerben. Zwei Jahre später hat sich auch die Europäische Gesellschaft für Aquatische Säugetiere (European Association for Aquatic Mammals, EAAM), der fast alle Europäischen Delphinarien angehören, zu diesem Thema geäußert und darauf hingewiesen, dass kein EAAM- Mitglied Tiere aus Japan in seinem Bestand hat. Ebenso deutlich äußert sich die US-amerikanische „Alliance of Marine Mammal Parks and Aquariums“ und verurteilt diese Aktionen. 

Von den heute in Delphinarien der Europäischen Union lebenden Delphinen stammt kein einziges Tier aus Japan! 

Lange bevor der Film „The Cove“ die Thematik aufgriff, hatte sich die Zoo-, Aquarien und Delphinariums­welt mit der Problematik auseinandergesetzt und ausdrücklich gegen solche Fangaktionen ausgesprochen.

Die Verantwortlichen des Films erwecken den Eindruck, dass auch europäische Zoos und Delphinarien ursächlich verantwortlich sind, dass Tiere in Japan auf grausame Art und Weise getötet werden. Für alle der EAAM oder der EAZA (European Association of Zoos and Aquaria) angehörenden Delphinarien ist diese Schlussfolgerung falsch und grenzt an Verleumdung.

3. Delphintreibjagden haben eine alte Tradition. Sie finden oder fanden nicht nur in Japan, sondern in vielen Ländern der Erde statt. So zum Beispiel auf den Faröer Inseln (seit ca. 1580), Salomon-Inseln, in Neufundland, Peru, Türkei, in einigen afrikanischen Ländern und in Russland. Für die meisten Völker gehört diese Jagdmethode zu ihrer Geschichte und dient hauptsächlich dem Nahrungserwerb. In den letzten Jahren kam eine weitere Rechtfertigung für die Tötung der Delphine hinzu und zwar durch die angebliche Konkurrenz der Delphine mit den Fischern. Nach Meinung der Fischer seien Delphine verantwortlich für den Zusammenbruch vieler Küstenfischereien.

Treibjagden auf Delphine sind nicht ausschließlich auf eine bestimmte Delphinart (z.B. den Großen Tümmler) ausgelegt, sondern viele Delphinarten sind davon betroffen. Dazu gehören: Blau-Weisse Delphine, Weißseitendelphine, Grindwale, Dall-Hafenschweinswale, Schweinswale, Belugas, Narwale, Kleine Schwertwale, Breitschnabeldelphine, Spinnerdelphine, Gemeine Delphine und Grosse Tümmler. Von den Treibjagden in Japan sind vor allem Blau-Weisse Delphine, Dall-Hafenschweinswale und Kurzflossen-Grindwale betroffen.

Eine Jagd auf Delphine, aus der auch Delphinarien beliefert werden, ist nur aus Japan und den Salomon-Inseln bekannt. Die Anzahl der Tiere ist im Vergleich zur Gesamtzahl von getöteten Tieren eher gering. Die Abnehmer sind vor allem dubiose Tierhändler, die Große Tümmler an Delphinarien im Nahen Osten, in Asien und in der Türkei weiter verkaufen.

Seriöse Institutionen aus Europa und den USA sind nicht nur nicht verantwortlich für diese Treibjagden, sondern wenden sich sogar seit Jahren dagegen. Unabhängig von der Tatsache, dass keine Delphine aus Japan und den Salomon Inseln in Zoos und Delphinarien der Europäischen Union leben, lehnen die Zoo- und Delphinarienverbände weltweit diese Fang­aktionen ab und verurteilen sie scharf (Siehe Punkt 2). Eine Differenzierung seriöser, wissenschaftlich geführter Institutionen von solchen, deren Tierhaltung weder ethischen noch zoobiologischen Kriterien folgen, ist wichtig und erforderlich für jede öffentliche Debatte.

Die Film-Autoren empfehlen zur Rettung der Delphine den weltweiten Boykott von Delphinarien. Es ist absurd zu behaupten, dass eine solche Aktion die Delphintreibjagden weltweit stoppen kann. In vielen Ländern (z.B. Faröer Inseln) finden diese Treibjagden jährlich mehrmals statt und dienen ausschließlich dem Fleischgewinn. Dort wird kein einziges Tier lebend geborgen oder verkauft.

4. Die wahre Problematik der Delphine und Wale. Die Bilder von blutgefärbten Gewässern in Japan sind erschreckend, machen betroffen, sind überall im Internet zu finden und sind nun Hauptthema eines Öko-Thrillers. Nicht nur den Besuchern des Filmes „The Cove“, sondern auch vielen Menschen, die in den Medien über den Film etwas zu lesen bekommen, wird der Eindruck vermittelt, dass direkt die japanischen Fischer und  mittelbar auch die Zoos und Delphinarien die größten Feinde der Delphine allgemein und des Großen Tümmlers im Besonderen seien. Fahrlässig ist die durch die Film-Autoren vermittelte Illusion, man könne die Delphinart „Großer Tümmler“ retten, indem man der Japanischen Botschaft einen Protestbrief schreibt und/oder indem man Delphinarien meidet.

Ignoriert wird die wahre Problematik der gesamten Tiergruppe der Meeressäuger: Überfischung, Beifang und Lebensraumzerstörung. Sie sind die größten Feinde, nicht nur des Grossen Tümmlers, sondern auch zahlreicher anderer Meeressäugerarten. Die Zerstörung seines Lebensraumes wurde bereits dem Chinesischen Delphin zur Verhängnis: Er gilt seit 2007 als ausgerottet. Fischereinetze sind für den Tod von 300.000 Delphinen und Walen (Beifang) pro Jahr verantwortlich. In vielen Küstenarealen wird die Überfischung zunehmend zum zentralen Problem der lokalen Populationen. Diese Gefahren werden häufig ignoriert und nur mangelhaft kommuniziert. Es sind schleichende und schwer messbare Gefahren, deren Ausmaß die Natur und wir Menschen erst nach einigen Jahrzehnten zu spüren bekommen.

Den existenzbedrohenden Gefahren für Meeressäugetiere „fehlt“ die Farbe rot: das Blut. Ein an einem Haken hängender und blutüberströmter Delphin weckt bei uns Menschen starke Emotionen, unabhängig von der Anzahl toter Delphine und unabhängig von der Relevanz dieses toten Tieres für das Überleben der Art. 100 getötete Tümmler sind für die Weltpopulation dieser Art irrelevant. 100 getötete Vaquitas (endemische Schweinswalart im Golf von Kalifornien) würden für diese vom Aussterben bedrohte Tierart bereits das Ende bedeuten.

Wenn von der Artenschutzproblematik der Delphine die Rede ist, werden die meisten Menschen sich an den blutenden Tümmler erinnern und sich für diese Art einsetzen, während akut schutzbedürftige Tiere wie der Vaquita unbeachtet bleiben.

Die Film-Autoren lenken die Aufmerksamkeit der Kinobesucher auf die grausame Tötung des  Großen Tümmlers (Tursiops truncatus), der nicht bedroht ist (IUCN – 2008: least concern). Nicht verdeutlicht wird dabei, dass die Treibjagd für andere Delphinarten und Populationen eine starke Bedrohung darstellt. Der Aufruf der Autoren Delphinarien zu meiden, führt die Menschen in die Irre. Trügerisch ist die vermittelte Logik, dass die wenigen hundert Tümmler in den Delphinarien der Welt für das Überleben der Art eine messbare Bedeutung haben.

 

Zudem setzten sich viele Zoos und Delphinarien schon lange aktiv und mit Nachdruck für den Schutz bedrohter  Arten ein und klären ihre Besucher über deren Problembereiche auf.

Die Sorge um das Schicksal der Delphine in Japan stand für die Produzenten des Filmes sicherlich an oberster Stelle. Dieselben Sorgen haben aber auch Zoos und Delphinarien, für die das Sicherstellen des Wohlbefindens ihrer Tiere die Basis für ihre Existenz ist. Beide Parteien haben ähnliche Ziele und Absichten: Tieren zu helfen. Es unterscheiden sich aber deutlich die Methoden und Wege, um diese Ziele zu erreichen.

5. Chance vertan. Viele Delphin- und Walarten weltweit sind bedroht. Die wahren Gefahren wurden oben aufgelistet und wie bereits erwähnt sind diese Probleme schwer kommunizierbar. Umso ärgerlicher ist der Tenor dieses Filmes. Er bagatellisiert und verkennt die echten und durchaus akuten Probleme der Weltmeere und seiner Bewohner.

Der Film „The Cove“ verpasst die einmalige Chance, auf den dringenden und vor allem auf einen erfolgversprechenden Schutz der Delphine hinzuweisen. Die verwendeten Bilder sind grausam, wecken Emotionen, und bündeln die Aufmerksamkeit. Warum setzt man sie nicht gezielter für den Schutz dieser Tiere ein. Wir hätten uns gewünscht, dass die tatsächlichen Faktoren, die viele Arten bedrohen, in diesem Film entsprechend aufgegriffen worden wären, um die sensibilisierten Zuschauer mit weiterem Wissen zu versorgen.

 

Daher sagen wir: Chance vertan!

Dr. Dag Encke                                     Dr. Lorenzo von Fersen
Leitender Direktor                                 Kurator für Forschung und Artenschutz
Tiergarten der Stadt Nürnberg               Tiergarten der Stadt Nürnberg

Lesen Sie hier die Stellungnahme des Tiergarten Nürnberg zum Film „The Cove“
(PDF, 892 KB)