Meilenstein bei der Rehabilitation eines Franciscana-Delfins – Unterstützung durch Tiergarten
Er zählt zu den kleinsten und am stärksten gefährdeten Delfinarten der Welt: der Franciscana-Delfin, auch La-Plata-Delfin genannt. Bei einem in...
Jeder Zoomitarbeiter und jeder private Tierhalter, der Fleisch fressende Tiere hält, kommt nicht darum herum, dass für seine „lieben“ Tierchen andere getötet werden müssen. Das sollte allgemein bekannt sein. Wie bei unserer eigenen Ernährung verdrängen wir aber den Gedanken ans Töten nur allzu gerne, indem wir Fleisch vom Metzger oder gar einzeln abgepackt vom Supermarkt kaufen und das fertige Katzenfutter (in einer Dose lange haltbar verpackt) vom Händler mit nach Hause nehmen.
Bei welchen Arten akzeptieren wir das Töten und Verfüttern und bei welchen nicht? Diese Frage erörtert ein Beitrag von Dr. Helmut Mägdefrau, der in der Vereinszeitschrift manati 2/2014 (S12ff) veröffentlicht wurde.
Die Ernährung von Mensch und Tier ist in der deutschen Rechtsprechung schon immer als „vernünftiger Grund“ zum Töten von Tieren anerkannt – sonst müssten wir uns alle vegetarisch ernähren und die spezialisierten Fleischfresser unter den Tieren schlichtweg verhungern lassen. Wie bereits vor über 16 Jahren in Manati 1/98 beschrieben, verfüttert der Tiergarten eigene Tiere wie Rinder, Antilopen, Hirsche, Pferde, Meerschweinchen, Degus usw. an seine Raubtiere, Greifvögel, Eulen oder Schlangen. Schon damals wurde auf weitere Aspekte neben der Ernährung hingewiesen: Verzichten wir auf das Töten durch Geburtenkontrolle, so nehmen wir den entsprechenden Tieren das natürliche Aufzuchtverhalten ersatzlos weg, obwohl es besonders bei in Gruppen lebenden Tieren zu deren wichtigsten Verhaltensbereichen gehört. Nicht umsonst ist in § 2 des Tierschutzgesetzes neben der angemessenen Ernährung und Pflege auch die verhaltensgerechte Unterbringung gefordert. Züchten wir nicht selbst auch Futtertiere, so steigt automatisch der Verbrauch an Tierkörpern, der letztlich mit Massentierhaltung und Tiertransporten zum Schlachthof hin verbunden ist. Greifen wir zur Geburtenkontrolle, so ergeben sich zusätzliche Probleme, da getrenntgeschlechtliche Haltung bezüglich artgemäßer, verhaltensgerechter Unterbringung mehr als nur fragwürdig und hormonelle Verhütung häufig mit gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen verbunden ist. So musste der Tiergarten drei Löwinnen euthanasieren, nachdem sie wegen mehrjährigem Einsatz von Hormonimplantaten (Melengesterol acetat) an Krebserkrankt waren.
Urwildpferde wurden durch den Einsatzvon PZP (Porcine zona pelucida) dauerhaft unfruchtbar. Ende 1991 hatte der Tiergarten vier Hengste bei den Somalischen Wildeseln. Da sie die am stärksten bedrohte Wildpferdeart mit einem Bestand von nur etwa 400 Tieren in der Natur und damals gerade mal 80 Individuen in Zoos darstellten, waren die Hemmungen entsprechend groß, Wildesel zu töten und zu verfüttern, selbst wenn es sich um überzählige Hengste gehandelt hätte. So blieb die schwierige Suche nach Abnehmern und ein Verzicht auf weitere Zucht durch Abtrennung der Hengste. Immerhin konnten zwei der Männchen bis 1993 an die Zoos von Hai Bar und Warschau abgegeben werden, aber wie sollte nach einer erneuten Geburt eines Hengstes verfahren werden? So wurden bis 1996 die Geschlechter getrenntgehalten. Erst nach deutlichen Vorwürfen von Artenschützern, dass wir bei den sehr seltenen Wildeseln nicht auf die nötige Zucht verzichten dürften, da Stuten dringend gesucht sind, reifte nach fünf Jahren der Entschluss zu erneuter Zucht, auch wenn überzählige Tiere hätten getötet werden müssen. Trotz sofortiger Paarungstätigkeit kam erst nach weiteren vier Jahren das ersehnte erste Fohlen nach der Zuchtpause zur Welt und die beiden älteren Stuten züchteten nicht mehr, obwohl dies altersmäßig (13 bzw.19 Jahre alt) durchaus noch möglich gewesen wäre. Zucht lässt sich eben nicht wie Licht einfach aus- und wieder einschalten! Zu allem Überfluss war dann das am 02.05.2000 geboreneJungtier prompt ein Hengst, der 2002 an die Raubtiere verfüttert wurde, nachdem im EEP kein Platz zu finden war. Da hatte der Tiergarten Nürnberg immerhin schon drei Jahre Erfahrung mit der Ganzkörperfütterung und der guten öffentlichen und klaren juristischen Akzeptanz. Neu war, dass erstmals ein Tier einer hochbedrohten Art verfüttert wurde. Der eigentliche Grund der Tötung war aber schlicht und ergreifend eine Notwendigkeit im Sinne des weltweiten Populationsmanagements dieser Tierart. Der Erhalt der genetischen Vielfalt der Arten ist den Zoos im VDZ schon seit 1977 Selbstverpflichtung und seit 2009 durch die EU-Zoorichtlinie auch gesetzlich gefordert. Folgerichtig sind inzwischen „überzählige“ Tiere weiterer bedrohter Arten hinzugekommen: Bongoantilopen,Grevyzebras und Prinz-Alfred-Hirsche.
Eine hohe genetische Vielfalt lässt sich nur durch entsprechendgroße Bestände der jeweiligen Arten erhalten, abhängig von der Anzahl an Gründertieren und deren Generationszeit, da in jeder Generation Erbmaterial verlorengeht. Wie bei vielen anderen stark bedrohten Tierarten mangelt es aber an geeignetem Lebensraum für entsprechende Bestände – sowohl in der Natur, als auch in Zoologischen Gärten. Die wenigen Plätze in Zoos dürfen wir also nicht durch überzählige Hengste oder Individuen, die nicht züchten sollen oder können, blockieren! Diese Plätze würden der effektiven Population – und nur auf die kommt es beim Erhalt der genetischen Vielfalt an – verlorengehen. Für Mendesantilopen hat dies der EEP-Koordinator Dr. Heiner Engel am 24. Oktober 2007 auf der Tagung im Zoo Leipzig klar dargelegt: Bei einer Wahrscheinlichkeit von Geburten für Männchen bei dieser Tierart von 55 %, müsste im EEP innerhalb von 10 Jahren eine Gruppe nicht benötigter Männchen untergebracht werden, die genau so groß ist, wie der Bestand der bestehenden Zuchtgruppen! Das würde zwangsläufig lange Zuchtpausen erfordern und die effektive Populationsgröße würde auf die Hälfte sinken. So geht genetische Vielfalt verloren! Ein weiteres Problem ist der möglichst ausgewogene Erhalt der Gene der Gründertiere. In den allermeisten Gruppen gibt es Weibchen, die züchten sollen und Weibchen, die nicht züchten sollen. Ohne (auch aus Gründen des Tierschutzes nicht sinnvolle) massive Eingriffe in das Sozialleben mit temporärer Abtrennung oder dem oft fragwürdigen Einsatz von Kontrazeptiva, ist dieses Ziel der selektiven Zucht einzelner Tiere innerhalb einer Gruppe nicht erreichbar. So fordern die Erhaltungszuchtprogramme z.B. für Somalische Wildesel, Grevyzebras, Prinz-Alfred-Hirsche, Giraffen oder Flusspferde und das Beratungsgremium für alle Schweine und Pekaris die „breed and cull“ Strategie als eine unverzichtbare Option im Zuchtmanagement. Ebenso ist es ein Unding, dass Hybriden dringend benötigten Platz blockieren. So sind im EEP für Giraffen 15 % der 842 Tiere Hybriden und weitere5 % unklarer Herkunft. Bei den Tigern sind es sogar 32% der 370 Großkatzen. Wenn schon der Mut zum Tötenu nd Verfüttern dieser Hybriden fehlt, so muss dringend ein Zuchtstopp gefordert werden. Die geschilderten Probleme zeigen, dass sich der auf das Individuum ausgerichtete Tierschutz durchaus kontraproduktiv auf die Zielsetzung des Artenschutzes auswirken kann. Tiere, die im Zoo aus Gründen des Bestandsmanagements getötet werden müssen, sollten selbstverständlich der Ernährung der Fleisch fressendenTiere dienen, auch wenn dies bei frei lebenden Tierarten teilweise nicht geschieht.
Biber müssen aus Gründen des Populationsmanagements regelmäßig getötet werden, wenn sie aus ihren Geburtsrevieren vertrieben werden und bei der Suche nach neuen Revieren Schäden in unserer „Zivilisation“ verursachen. Diese – allein in Bayern etwa 1000 Biber im Jahr – werden nur selten als Nahrung oder sonst wie genutzt, da ein Vermarktungsverbot besteht! Trotzdem ist diese Regulierung der Biberbestände gängige Praxis, weil eine weiter steigende Population zusätzliche Schäden bedeuten würde. Tötung von Tieren als Mittel des Populationsmanagements mit entsprechender Vermarktung zur Finanzierung von Schutzgebieten bzw. zur Unterstützung der lokalen Bevölkerung sind deshalb auch von der Weltnaturschutzunion (IUCN) und auch den Vertragsstaaten des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES) mit der Genehmigung entsprechender Abschussquotenals wichtiges Hilfsmittel im Artenschutz anerkannt, z.B. bei Elefanten, Nashörnern oder Großkatzen. Es ist an der Zeit, dass wir das Töten von Tieren aus Gründen des Populationsmanagements nicht länger als Problem betrachten und diskutieren, sondern endlich als Chance begreifen, durch die heute meist sehr gute Zootierhaltung einen besseren Beitrag zur Erhaltung der jeweiligen Arten leisten zu können. Laut einer Umfrage im Rahmen einer Doktorarbeit am Institut für Tierschutz in Berlin (Hildebrandt, 2008) akzeptieren über 80 % das Töten im Rahmen der Zuchtbemühungen bedrohter Tierarten. Wenn, wie im Tiergarten Nürnberg, die Huftiere mit Produkten aus dem eigenen, bio-zertifizierten Landwirtschaftlichen Gut Mittelbüg gefüttert werden, bringt dies nicht nur die Vorteile des Tierschutzes, dass weniger Tiere aus der Massentierhaltung verfüttert werden, die dazu noch einen Tiertransport hinter sich haben, sondern auch die Sicherheit, dass kein Soja auf Kosten von Regenwäldern in der Tiernahrung ist. Bei der Verfütterung von Zootieren an Zootiere ist – wie bei zugekauften Futtertieren auch – auf die Vermeidung von potentiell übertragbaren Krankheiten zu achten. So verfüttert der Tiergarten kein Schweinefleisch an die Raubtiere (Aujetzki-Krankheit), keine Vögel an Vögel (Salmonellose) oder Katzen an Katzen/Hundeartige (Parvovirose, Staupe). Soweit ist die biologische Zielsetzung eigentlich klar und auch aus ethisch-moralischen Gründen geboten: Züchten und ggf. auch Töten! Ein Problem bleibt aber dennoch: Bei welchen Arten akzeptieren wir das Töten und Verfüttern und bei welchen nicht? Warum tun wir uns so schwer, unsere Emotionen im Zaum zu halten? Auch Ratten gehören bekanntermaßen zu den intelligenteren Tierarten. Erlaubt sei hier eine provokante Frage: Warum haben wir dennoch so wenig Hemmungen 20.000 dieser relativ intelligenten Nager, die gemeinsam etwa 6 Tonnen wiegen, zu töten und zu verfüttern anstatt dieses Ziel mit nur einem einzigen Elefanten derselben Masse zu erreichen. Wenn wir uns hier von Gefühlen oder kulturellen Traditionen leiten lassen und nachvollziehbar emotionale Probleme mit dem Verfüttern von Primaten haben, unsere alten Bären eines altersbedingten Todes sterben ließen und jetzt unser altes, nicht mehr reproduktionsfähiges Löwenpaar nicht euthanasieren, so dürfen wir dabei nicht verschweigen, dass wir damit in Bezug auf den Artenschutz und den Erhalt einer möglichst hohen genetischen Vielfalt nicht so zielgerichtet handeln, wie wir es tun sollten und auch könnten!
Helmut Mägdefrau