von Mathias Orgeldinger
Buy one get two free: Im Jahr 2000 reiste die deutsche Meeresbiologin Sonja Heinrich ans Ende der Welt, um den seltenen Chilenischen Delfin zu erforschen. Sechs Wochen sah sie kein einziges Tier. Dann entdeckte sie plötzlich gleich drei Studienobjekte für ihre Doktorarbeit: den Chilenischen Delfin, den Peal’s Delfin und den Burmeister- Schweinswal.
Das Meeressäuger-Projekt auf der Insel Chiloé in Südchile wird seit 2003 von der Nürnberger Artenschutzorganisation „Yaqu Pacha“ und vom Nürnberger Tiergarten unterstützt. Obwohl Sonja Heinrich inzwischen als Privatdozentin an der Universität von St. Andrews in Schottland lehrt, kommt sie gerne an den Schmausenbuck, um über ihre Arbeit zu berichten.
Chiloé hat zwei Gesichter: Das eine zeigt die ungeschminkte Schönheit einer wilden Meeresküste mit ihren Fjorden und vorgelagerten Inseln. Auf Chiloé endet der westliche Teil der Pan Americana und mit ihr die Zivilisation. Doch Chiloé zeigt leider auch die Fratze der Globalisierung. Ausländische Konzerne investieren in eine der weltweit größten Ansammlungen von Lachs- und Muschelfarmen. In den letzten Jahren hat Chile Norwegen als weltgrößten Exporteur von Zuchtlachs abgelöst.
Die Massentierhaltung führt zu Überdüngung, zum unkontrollierten Einsatz von Fungiziden, Pestiziden und Antibiotika sowie zur Einführung fremder Arten. „Etwa 1,5 Millionen Lachse entkommen jedes Jahr aus den Aquafarmen in chilenische Gewässer“, sagt Heinrich. Es handelt sich vorwiegend um atlantische Lachse, die im Südpazifik nichts verloren haben. Sie werden im Ei-Stadium importiert, in chilenischen Seen aufgepäppelt und anschließend in Unterwasserkäfigen groß gefüttert.
„Um ein Kilo Zuchtlachs zu erzeugen, braucht man drei bis vier Kilogramm Fischmehl“, rechnet die Biologin vor. Die Fischmehl-Produktion führe zu einer Verarmung der Meeresfauna in Nordchile. Die Arbeitsbedingungen in der Lachsindustrie seien schlecht. „Chile trägt die ökologischen und sozialen Lasten, damit wir günstigen Lachs im Supermarkt kaufen können“, sagt Heinrich.
Wissenschaftler beraten die Behörden
Auch der WWF rät auf seiner Internetseite von Zuchtlachs aus Chile ab. Natürlich leiden auch die Delfine unter dieser Entwicklung. „Sie verheddern sich in den Netzen, mit denen der entflohene Lachs gefangen wird.“ Beifang und Lebensraumzerstörung seien derzeit die größten Bedrohungen, so Heinrich.
In den Gewässern um Chiloé leben noch etwa 150 bis 200 Chilenische Delfine. Dies sei das Ergebnis systematischer Sichtungen über viele Jahre, erklärt die Meeresbiologin. Ohne das Forschungsprojekt wüsste die Wissenschaft fast nichts über diese Tiere. Rein universitäre Projekte laufen meistens nach wenigen Jahren aus, wenn die ausländischen Forscher weiterziehen. Auf Chiloé ist es nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung aus Nürnberg und durch die Einbindung chilenischer Biologen gelungen, ein langfristiges Naturschutzprojekt zu etablieren. Inzwischen berät das Meeressäuger-Team die Behörden bei der Aufstellung von Küstennutzungsplänen und der Schaffung mariner Schutzgebiete. „Jetzt, nach zehn Jahren, wird es erst richtig spannend“, sagt Projektleiterin Heinrich.
Chilenische Delfine gehören mit ca. 1,6 Meter Körperlänge zu den kleinsten Delfinarten. Die Tiere sind äußerst scheu und springen kaum. In bewegtem Wasser sind sie fast nicht zu erkennen. Deshalb können die Forscher nur im Sommer arbeiten, wenn das Wetter erträglich ist. Trotzdem ist es dem Projektteam gelungen, eine Vielzahl von Einzeltieren anhand ihrer Rückenflosse (Finne) zu identifizieren.
Dabei stellte sich heraus, dass Chilenische Delfine extrem standorttreu sind. Sie leben in Gewässern, die nicht mehr als 500 Meter von der Küste entfernt und nicht tiefer als 25 Meter sind. Wenn ein unberührter Fjord mit Lachskäfigen und Muschelfarmen zugestellt wird, dann kann der Chilenische Delfin nicht einfach ins offene Meer oder in eine Nachbarbucht flüchten. Er muss sich mit den Aquafarmen und der Verschmutzung arrangieren. Der Peal’s Delfin sei dagegen flexibler, erklärt Heinrich. Und der Burmeister-Schweinswal komme sogar weit von der Küste entfernt vor.
Es wird wohl noch viel Forschungsarbeit nötig sein, bis die Lebensansprüche aller drei Arten geklärt sind. Ohne dieses Detailwissen können die Meeressäuger nicht erfolgreich geschützt werden.
Mit freundlicher Genehmigung der Nürnberger Zeitung.