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Überleben in der Arktis (III) - Das Fell

 

In offenen Landschaften wie der Arktis ist eine gute Tar­nung überlebenswichtig. Sobald die Tundra mit Schnee be­deckt ist, legen sich Jäger (Polarfuchs) und Ge­jagte (Schneehase, Hermelin, Halsbandlemming) ein wei­ßes Winterfell zu. Bei der Schnee-Eule spiegelt die Gefie­der­farbe sogar die Arbeitsteilung zwischen den Ge­schlechtern wider. Das weiße Männchen jagt auf den Schneefeldern, während das dunkel gesprenkelte Weib­chen auf dem schneefreien Bodennest bestens getarnt ist.

Solche Farbunterschiede gibt es bei Polarbären nicht. Oder etwa doch? Darf man Beobachtern glauben schen­ken, die gelbe, rötlich-braune oder gar grünliche Eis­bären gesichtet haben? Kann der le­gendäre König der Arktis gar seine Farbe ändern – wie ein Chamäleon? Die Antwort lautet: Jein!

„Bunte Eisbären“ sind oft nur eine Folge von ver­schmutztem Fell. Oxidiertes Robbenfett lässt die Tiere gelb erscheinen, nach dem Aufenthalt in einer torfhalti­gen Winterhöhle tragen sie ein rötlich-braunes Fell, ein Staubbad macht sie grau [Flocke, TgN] und wenn sich Al­gen in ihren hohlen Deckhaaren ansiedeln, werden sie so­gar grün.

Das saubere Fell eines Eisbären erscheint im hellen Sonnenlicht jedoch weiß. Womit die Welt wieder in Ord­nung wäre. Scheinbar. Denn in der Abend­dämme­rung be­gegnen uns plötzlich gelblich-orange Tiere und bei dichtem Nebel sehen wir bläuliche Umrisse. Alles nur Einbil­dung?

Des Rätsels Lösung liegt in der Struktur der Haare. Sie sind aufgrund fehlender Pigmente durchsichtig und er­scheinen daher in der Farbe des Umgebungslichtes. Und die ändert sich mit dem Sonnenstand. Um dies zu verste­hen, muss man zwei Dinge wissen. Erstens: Das Sonnen­licht be­steht aus einer Mischung aller Spektralfarben, die wir als weiß wahrnehmen. Zweitens: Blaues Licht wird stär­ker gestreut als rotes.

Bei Sonnenhöchst­stand, wenn das Licht nur einen kur­zen Weg durch die Atmosphäre nimmt, wird hauptsächlich das blaue Licht gestreut. Der Himmel erscheint blau, das di­rekte Sonnenlicht weiterhin weiß. Je tiefer die Sonne aber steht, desto stärker wirkt sich die Streuung durch Gasmole­küle und Staub­teilchen aus. Der Blauanteil des Mischlichtes verschwindet immer mehr, übrig bleibt ein rötliches Son­nenlicht und ein gelber bis blutroter Himmel. Im Schein der Abendsonne zieht sich der Eisbär einen roten Pelz an. Und wenn dicke Wolken oder dichter Nebel das Sonnenlicht so­weit abschatten, dass ähnlich wie zur „blauen Stunde“, nur noch das Himmelsblau übrig bleibt, trägt er schließlich ei­nen grau-blauen Anzug.

Menschliche Haare sind von ihrer Struktur ebenfalls durchsichtig, sie haben allerdings Farb­pig­mente (Mela­nine) eingelagert, die das weiße Sonnenlicht „filtern“. So lässt das Phäomelanin nur gelb­lich-rötliches Licht durch, weil es alle anderen Far­ben „ver­schluckt“. Das Eumelanin absorbiert sogar bis zu 99,9 Pro­zent der Strah­lungsenergie, wo­durch das Haar bräunlich bis schwarz er­scheint. Aus dem Mischungsver­hältnis der Me­lanine ergibt sich die menschliche Haar- oder Haut­farbe: Von blond über rot bis schwarz.

Die absorbierte Strahlung wird in Wärmeenergie umge­wandelt, weshalb sich dunkle Körper mehr aufheizen als helle. Eisbären nutzen diesen Effekt mit Hilfe ihrer schwar­zen Haut. Ihre Haare sind dagegen pig­mentlos, durchsich­tig, hohl und mit Luft gefüllt.

Wie aber kommt die weiße Farbe zustande? Der Grund ist vermutlich derselbe wie der, der das Haar älterer Men­schen im hellen Sonnenlicht grau und schließlich weiß er­scheinen lässt. Anstelle der Mela­nine werden beim älteren Menschen zuneh­mend Luft­bläschen in den Haar­schaft ein­ge­baut. Sie streuen das Licht in ver­schie­dene Richtungen, genauso wie die Luftbläschen im Schnee oder die Öltröpfchen in der Milch. 

Diffus ge­streutes Licht reizt alle drei Rezeptoren (Zap­fen) unserer Netzhaut in gleicher Weise. Bei hoher Strah­lungsintensität empfinden wir diesen Farbeindruck als weiß (unbunt), bei abnehmen­der Stärke erkennen wir Graustufen bis hin zu schwarz, wenn kein Licht mehr vorhanden ist.

Eisbären haben demnach ganz gewöhnliche weiße Haare, wie wir sie bei vielen Tierarten kennen. Einige For­scher wollten das nicht glauben. Und so entstand der wis­senschaftliche Mythos von der Lichtfalle: Die hohlen, durchsichtigen Haare würden wie Glasfa­serkabel funktio­nieren, indem sie das Sonnen­licht zur Haut lei­ten, wo es fast komplett in Wärme umge­wan­delt würde. An den Innenwänden ei­ner Glasfaser wird die Strahlung vollständig reflektiert (To­talre­flexion) und damit verlustfrei weitergeleitet.

Die Idee der Lichtfalle resultierte aus der Beobachtung, dass Eisbä­ren, die mit UV-empfindlichen Filmen aufge­nommen wur­den, schwarz erscheinen, d.h. kein ult­ravio­lettes Licht reflektieren. Die hohlen Haare – so vermuteten die Forscher -  könnten das unsichtbare UV-Licht bei­nahe ver­lustfrei zur schwarzen Haut weiterleiten, wo es in Wärme umgewandelt würde.

Der Mythos hielt fast 20 Jahre bis er experimentell wi­derlegt wurde. Wissenschaftler schickten Licht durch ein 2,54 Zentimeter langes Eisbärhaar. Ergebnis: Weniger als 0,001 Prozent des Rotlichtes erreichte das Ende des Haa­res. Und das UV-Licht wurde noch viel stärker „geschluckt“. Verantwortlich für diese Absorption ist das Molekül Keratin, aus dem ein Haar im wesentlichen besteht.

Eisbären tragen also keinen High-Tech-Pelz; ihre Haare besitzen keine Glasfaserfunktion, we­der für Wärmestrah­lung, noch für sichtbares oder UV-Licht. Vielmehr wird die Sonnenstrahlung zur schwarzen Haut „durchgelas­sen“, wo sie absorbiert und in Wärme umgewandelt wird.

Weil das Fell hervorragend isoliert, kann die Wärme nicht mehr abgestrahlt werden. Fotografiert man Eisbären mit einer Wärmebildkamera, hebt sich ihr Körper kaum von der kalten Umge­bung ab. Nur der Atem und die schwarze Nase sind sichtbar. Die Isola­ti­onswirkung des Fells basiert auf den Luftpolstern, die sich zwischen den leicht gekräuselten Haaren beson­ders gut halten und möglicher­weise auch auf den Luftblä­schen im hohlen Haarschaft. 

Luft isoliert etwa 25 mal besser als Wasser, weshalb die Tiere schon im Herbst jeden Kontakt mit dem feuchten Nass ver­mei­den bzw. das Wasser sofort aus ihrem Fell schütteln. Die öligen, wasserabweisenden Deck­haare „im­prägnieren“ das Fell zusätzlich.

Neben dem sichtbaren Licht liefert uns die Sonne u.a. die langwellige Wärmestrahlung (Infrarot) und das kurzwel­lige ener­giereiche UV-Licht. Die Vermutung, Eisbären könnten das Sonnenlicht via Glasfasertechnologie zur Wärme­er­zeugung nutzen, war verlockend. In der Euphorie übersah man allerdings, wie gering die Sonneneinstrahlung in der Polarregion ist, selbst im Sommer. Und schlechtes Wetter soll es ja auch noch geben. Der Beitrag der Sonne zum Energiehaushalt eines Eisbären dürfte sich demnach in engen Grenzen halten.

Entsprechend gering dürfte der thermoregulative Effekt der hellen Fellfarbe sein. Eisbären sind wohl in erster Linie weiß, damit sie beim Jagen gut getarnt sind. Dennoch: Die transparenten, pig­mentfreien Haare sorgen dafür, dass möglichst wenig Son­nenstrahlung vom Fell selbst absor­biert wird. Infrarot- und Licht­strahlen gleicher Stärke er­wärmen vermutlich den Kör­per eines Eisbä­ren stärker als z.B. den eines Schwarz- oder Braunbären.

Das Prinzip des Eisbärenfells (flexibel, transparent und wärme­isolierend) lässt sich auch technisch nutzen, etwa bei Sonnenkollektoren. Die Firma „So­larenergie Stefanakis“ in Stadecken-Elsheim entwickelt zur Zeit eine Wärmedämm­schicht für Halbkugelkollektoren, die aus durchsichtigem Polyes­tergeflecht besteht. Das transpa­rente Ge­flecht hält ähnlich wie ein Eisbärfell Luftpolster fest, ist aber fle­xibler und leichter als das bisher verwendete Iso­lierglas. Son­nenkollektoren setzen im Betrieb keine Treibhausgase frei. Das Prinzip des Eisbärfells könnte ei­nes Tages mit dazu beitragen, dass der Lebensraum seiner Träger erhal­ten bleibt.

Mathias Orgeldinger