Ökologischer Wert von Aas: Tiergarten beteiligt sich mit totem Wisent an Forschungsprojekt
Tote Tiere, die voller Leben stecken: Kadaver von Wildtieren sind wahre Hotspots der Biodiversität. Um auf diesem Gebiet weiterführende Erkenntnisse...
In offenen Landschaften wie der Arktis ist eine gute Tarnung überlebenswichtig. Sobald die Tundra mit Schnee bedeckt ist, legen sich Jäger (Polarfuchs) und Gejagte (Schneehase, Hermelin, Halsbandlemming) ein weißes Winterfell zu. Bei der Schnee-Eule spiegelt die Gefiederfarbe sogar die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wider. Das weiße Männchen jagt auf den Schneefeldern, während das dunkel gesprenkelte Weibchen auf dem schneefreien Bodennest bestens getarnt ist.
Solche Farbunterschiede gibt es bei Polarbären nicht. Oder etwa doch? Darf man Beobachtern glauben schenken, die gelbe, rötlich-braune oder gar grünliche Eisbären gesichtet haben? Kann der legendäre König der Arktis gar seine Farbe ändern – wie ein Chamäleon? Die Antwort lautet: Jein!
„Bunte Eisbären“ sind oft nur eine Folge von verschmutztem Fell. Oxidiertes Robbenfett lässt die Tiere gelb erscheinen, nach dem Aufenthalt in einer torfhaltigen Winterhöhle tragen sie ein rötlich-braunes Fell, ein Staubbad macht sie grau [Flocke, TgN] und wenn sich Algen in ihren hohlen Deckhaaren ansiedeln, werden sie sogar grün.
Das saubere Fell eines Eisbären erscheint im hellen Sonnenlicht jedoch weiß. Womit die Welt wieder in Ordnung wäre. Scheinbar. Denn in der Abenddämmerung begegnen uns plötzlich gelblich-orange Tiere und bei dichtem Nebel sehen wir bläuliche Umrisse. Alles nur Einbildung?
Des Rätsels Lösung liegt in der Struktur der Haare. Sie sind aufgrund fehlender Pigmente durchsichtig und erscheinen daher in der Farbe des Umgebungslichtes. Und die ändert sich mit dem Sonnenstand. Um dies zu verstehen, muss man zwei Dinge wissen. Erstens: Das Sonnenlicht besteht aus einer Mischung aller Spektralfarben, die wir als weiß wahrnehmen. Zweitens: Blaues Licht wird stärker gestreut als rotes.
Bei Sonnenhöchststand, wenn das Licht nur einen kurzen Weg durch die Atmosphäre nimmt, wird hauptsächlich das blaue Licht gestreut. Der Himmel erscheint blau, das direkte Sonnenlicht weiterhin weiß. Je tiefer die Sonne aber steht, desto stärker wirkt sich die Streuung durch Gasmoleküle und Staubteilchen aus. Der Blauanteil des Mischlichtes verschwindet immer mehr, übrig bleibt ein rötliches Sonnenlicht und ein gelber bis blutroter Himmel. Im Schein der Abendsonne zieht sich der Eisbär einen roten Pelz an. Und wenn dicke Wolken oder dichter Nebel das Sonnenlicht soweit abschatten, dass ähnlich wie zur „blauen Stunde“, nur noch das Himmelsblau übrig bleibt, trägt er schließlich einen grau-blauen Anzug.
Menschliche Haare sind von ihrer Struktur ebenfalls durchsichtig, sie haben allerdings Farbpigmente (Melanine) eingelagert, die das weiße Sonnenlicht „filtern“. So lässt das Phäomelanin nur gelblich-rötliches Licht durch, weil es alle anderen Farben „verschluckt“. Das Eumelanin absorbiert sogar bis zu 99,9 Prozent der Strahlungsenergie, wodurch das Haar bräunlich bis schwarz erscheint. Aus dem Mischungsverhältnis der Melanine ergibt sich die menschliche Haar- oder Hautfarbe: Von blond über rot bis schwarz.
Die absorbierte Strahlung wird in Wärmeenergie umgewandelt, weshalb sich dunkle Körper mehr aufheizen als helle. Eisbären nutzen diesen Effekt mit Hilfe ihrer schwarzen Haut. Ihre Haare sind dagegen pigmentlos, durchsichtig, hohl und mit Luft gefüllt.
Wie aber kommt die weiße Farbe zustande? Der Grund ist vermutlich derselbe wie der, der das Haar älterer Menschen im hellen Sonnenlicht grau und schließlich weiß erscheinen lässt. Anstelle der Melanine werden beim älteren Menschen zunehmend Luftbläschen in den Haarschaft eingebaut. Sie streuen das Licht in verschiedene Richtungen, genauso wie die Luftbläschen im Schnee oder die Öltröpfchen in der Milch.
Diffus gestreutes Licht reizt alle drei Rezeptoren (Zapfen) unserer Netzhaut in gleicher Weise. Bei hoher Strahlungsintensität empfinden wir diesen Farbeindruck als weiß (unbunt), bei abnehmender Stärke erkennen wir Graustufen bis hin zu schwarz, wenn kein Licht mehr vorhanden ist.
Eisbären haben demnach ganz gewöhnliche weiße Haare, wie wir sie bei vielen Tierarten kennen. Einige Forscher wollten das nicht glauben. Und so entstand der wissenschaftliche Mythos von der Lichtfalle: Die hohlen, durchsichtigen Haare würden wie Glasfaserkabel funktionieren, indem sie das Sonnenlicht zur Haut leiten, wo es fast komplett in Wärme umgewandelt würde. An den Innenwänden einer Glasfaser wird die Strahlung vollständig reflektiert (Totalreflexion) und damit verlustfrei weitergeleitet.
Die Idee der Lichtfalle resultierte aus der Beobachtung, dass Eisbären, die mit UV-empfindlichen Filmen aufgenommen wurden, schwarz erscheinen, d.h. kein ultraviolettes Licht reflektieren. Die hohlen Haare – so vermuteten die Forscher - könnten das unsichtbare UV-Licht beinahe verlustfrei zur schwarzen Haut weiterleiten, wo es in Wärme umgewandelt würde.
Der Mythos hielt fast 20 Jahre bis er experimentell widerlegt wurde. Wissenschaftler schickten Licht durch ein 2,54 Zentimeter langes Eisbärhaar. Ergebnis: Weniger als 0,001 Prozent des Rotlichtes erreichte das Ende des Haares. Und das UV-Licht wurde noch viel stärker „geschluckt“. Verantwortlich für diese Absorption ist das Molekül Keratin, aus dem ein Haar im wesentlichen besteht.
Eisbären tragen also keinen High-Tech-Pelz; ihre Haare besitzen keine Glasfaserfunktion, weder für Wärmestrahlung, noch für sichtbares oder UV-Licht. Vielmehr wird die Sonnenstrahlung zur schwarzen Haut „durchgelassen“, wo sie absorbiert und in Wärme umgewandelt wird.
Weil das Fell hervorragend isoliert, kann die Wärme nicht mehr abgestrahlt werden. Fotografiert man Eisbären mit einer Wärmebildkamera, hebt sich ihr Körper kaum von der kalten Umgebung ab. Nur der Atem und die schwarze Nase sind sichtbar. Die Isolationswirkung des Fells basiert auf den Luftpolstern, die sich zwischen den leicht gekräuselten Haaren besonders gut halten und möglicherweise auch auf den Luftbläschen im hohlen Haarschaft.
Luft isoliert etwa 25 mal besser als Wasser, weshalb die Tiere schon im Herbst jeden Kontakt mit dem feuchten Nass vermeiden bzw. das Wasser sofort aus ihrem Fell schütteln. Die öligen, wasserabweisenden Deckhaare „imprägnieren“ das Fell zusätzlich.
Neben dem sichtbaren Licht liefert uns die Sonne u.a. die langwellige Wärmestrahlung (Infrarot) und das kurzwellige energiereiche UV-Licht. Die Vermutung, Eisbären könnten das Sonnenlicht via Glasfasertechnologie zur Wärmeerzeugung nutzen, war verlockend. In der Euphorie übersah man allerdings, wie gering die Sonneneinstrahlung in der Polarregion ist, selbst im Sommer. Und schlechtes Wetter soll es ja auch noch geben. Der Beitrag der Sonne zum Energiehaushalt eines Eisbären dürfte sich demnach in engen Grenzen halten.
Entsprechend gering dürfte der thermoregulative Effekt der hellen Fellfarbe sein. Eisbären sind wohl in erster Linie weiß, damit sie beim Jagen gut getarnt sind. Dennoch: Die transparenten, pigmentfreien Haare sorgen dafür, dass möglichst wenig Sonnenstrahlung vom Fell selbst absorbiert wird. Infrarot- und Lichtstrahlen gleicher Stärke erwärmen vermutlich den Körper eines Eisbären stärker als z.B. den eines Schwarz- oder Braunbären.
Das Prinzip des Eisbärenfells (flexibel, transparent und wärmeisolierend) lässt sich auch technisch nutzen, etwa bei Sonnenkollektoren. Die Firma „Solarenergie Stefanakis“ in Stadecken-Elsheim entwickelt zur Zeit eine Wärmedämmschicht für Halbkugelkollektoren, die aus durchsichtigem Polyestergeflecht besteht. Das transparente Geflecht hält ähnlich wie ein Eisbärfell Luftpolster fest, ist aber flexibler und leichter als das bisher verwendete Isolierglas. Sonnenkollektoren setzen im Betrieb keine Treibhausgase frei. Das Prinzip des Eisbärfells könnte eines Tages mit dazu beitragen, dass der Lebensraum seiner Träger erhalten bleibt.
Mathias Orgeldinger