Neuzugang bei den Fischkatzen im Tiergarten
Die Fischkatzen im Tiergarten Nürnberg sind wieder zu zweit: Vergangene Woche ist mit Kumi ein Weibchen aus dem Zoo Duisburg in den Tiergarten...
Friedrich Schiller würde sich im Grab herumdrehen. Zunächst missbraucht man seine Locken, um den geräucherten "Dornhund" aufzuhübschen und dann räubert man dessen Bestände so aus, dass er auf die "Rote Liste" kommt.
Verwirrt? "Dornhund" ist eine alte Bezeichnung für den Dornhai (Scqualus acantias). Die grätenfreien Rückenstücke des Fisches werden in Deutschland als "Seeaal" verkauft. Verwertet werden aber auch die beiden Bauchlappen. Ihre charakteristische Form entsteht beim Räuchern: Sie rollen sich ein und krümmen sich. Findige Fischhändler entdeckten im 19. Jahrhundert eine Ähnlichkeit mit Schillers Frisur auf einem Kupferstich, der damals gerade im Marburger Schillerarchiv entdeckt wurde. Daher der Name "Schillerlocke".
Wer an der Fischtheke nach "Seeaalen" oder "Schillerlocken" fragt, weiß in der Regel nicht, dass er eine Haiart konsumiert, die von der Weltnaturschutzunion als "gefährdet" eingestuft wird, weil ihre Bestände überfischt sind. Auch dürfte es dem Verbraucher schwerfallen, einen Heilbutt aus dem Nordostatlantik von einer verwandten Art zu unterscheiden, die im Pazifik gefangen wurde. Der Erstgenannte ist - laut WWF-Fischführer - stark überfischt, letzterer nicht.
Überfischung wird zunehmend auch zu einem ökonomischen Problem. Politische Lösungen greifen oft nur auf der Ebene des kleinsten gemeinsamen Nenners. Daher scheint es sinnvoll, die Macht des Verbrauchers zu nutzen. 1997 gründete der britisch-niederländische Lebensmittelkonzern Unilever zusammen mit der Naturschutzorganisation WWF den "Marine Stewardship Council" (MSC). Seit 1999 ist der MSC unabhängig. Er zertifiziert weltweit Fangbetriebe nach international anerkannten Umweltverträglichkeitsprinzipien. Die Produkte dieser Unternehmen werden mit dem blauen MSC-Logo ausgezeichnet. Das Umweltsiegel hilft, beim Einkauf eine ökologisch verantwortbare Wahl zu treffen.
Der MSC-Standard ist das Ergebnis einer Expertenrunde und nennt sich schlicht "Prinzipien und Kriterien für eine nachhaltige Fischerei" (MSC principles and criteria for sustainable fishing). Er formuliert Ziele (Prinzipien) und Umsetzungsrichtlinien (Kriterien) zu den Problemfeldern Fischbestand, Umweltverträglichkeit und Fischereimanagement. Der Standard bezieht sich derzeit nur auf den Fischfang, nicht auf Aquakulturen.
Prinzip 1: | Die Fischerei darf nicht zu einer Überfischung oder Erschöpfung der Bestände führen. Bereits erschöpfte Populationen müssen so befischt werden, dass sie sich nachweislich erholen können. |
Prinzip 2: | Die Fischereiaktivitäten müssen die Strukturen, die Produktivität, die Funktion und die Artenvielfalt des marinen Ökosystems aufrecht erhalten. |
Prinzip 3: | Die Fischerei muss einem effektiven Management-System unterworfen sein, das die lokalen, nationalen und internationalen Gesetze respektiert und auf Standards beruht, die einen nachhaltigen und verantwortlichen Umgang mit den Ressourcen gewährleisten. |
Mehrere Richtlinien präzisieren diese Ziele. Einige enthalten nur Absichtserklärungen, andere ziehen enge Grenzen, wie beispielsweise das Verbot der Sprengstoff- und Giftfischerei.
Die Bewertung nach MSC-Standard erfolgt auf freiwilliger Basis. Zugelassen sind Fangbetriebe jeder Größe vom kleinen Kollektiv bis zum Weltmarktführer. Nach bestandener Vorprüfung können sie die Überprüfung durch einen MSC-Zertifizierer beantragen. Der MSC prüft also nicht selbst, sondern überlässt diese Arbeit unabhängigen Experten, die vom Antragsteller bezahlt werden. Der Zertifizierungsprozess muss transparent und nachvollziehbar sein. Das MSC-Label wird für fünf Jahre verliehen, in der Regel unter Auflagen, die jährlich überprüft werden. Nach fünf Jahren beginnt der Prozess von vorne.
Der Durchbruch für das Umweltsiegel kam 2005, als die weltgrößte Weißfisch-Fischerei (Alaska Seelachs in der Bering See und den Aleuten) mit dem Label ausgezeichnet wurde. Aktuell stehen 26 Fangbetriebe auf der Liste, weitere werden folgen. Die Zahl der Unternehmen, die Fischerzeugnisse und "Meeresfrüchte" mit MSC-Logo vertreiben, stieg im Berichtsjahr 2006/07 von 237 auf 433. Nach Schätzungen des Fischinformationszentrums in Hamburg stammten im Herbst 2006 etwa zehn Prozent aller in Deutschland verkauften Fische aus MSC-Fangbetrieben. Eine aktuelle Liste von Einzelhandelsfirmen und Produkten kann auf der MSC-Webseite eingesehen werden.
Das MSC-Siegel ist allerdings nicht ganz unumstritten. Greenpeace beklagt, dass Betriebe trotz zerstörerischer Fangmethoden und hoher Beifangquoten ausgezeichnet würden. Das Label werde sogar für Erzeugnisse aus bereits überfischten Beständen vergeben, sobald eine nachhaltige Nutzung in Aussicht gestellt werde. Der WWF legt die Meßlatte dagegen nicht ganz so hoch. "Das MSC-Siegel ist derzeit das Mittel der Wahl. Wir haben nichts Vergleichbares", sagt Karoline Schacht, EU-Fischerei-Expertin von WWF-Deutschland. Die mit dem Label verbundenen Auflagen könnten ein gutes Druckmittel sein, um die Beifangquote zu senken. "Wir machen uns für Verschärfungen innerhalb des Zertifizierungsprozesses stark", so Schacht. So könne sich der WWF in die Prüfverfahren einklinken, indem er dem Zertifizierer Unterlagen und Gutachten liefere.
Problematisch sei, dass der Zertifizierer die Kriterien relativ frei gewichten könne. Die Selektivität der Fanggeräte müsse stärker berücksichtigt werden, erklärt die Expertin. "Unsere Kompromissbereitschaft hat Grenzen," sagt Schacht. Nach einer wissenschaftlichen Studie, die im November 2006 veröffentlicht wurde, sind die Bestände von etwa 65 Prozent aller Fisch-, Muschel- und Krustentierarten, die vom Menschen genutzt werden, heute auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft. Im Jahr 2048 werden die Weltmeere leergefischt sein. Die Fangflotten müssen also schon im Eigeninteresse auf eine nachhaltige Nutzung setzen. Und der MSC-Standard wird diese Entwicklung beschleunigen.
Mathias Orgeldinger